Köln, 1.2.2003, Wie mit dem 'Spiegel' die Kriegspropaganda im deutschen Stadtbild Einzug hältBilder

'Die Akte Saddam' - Kriegspropaganda oder zutreffende Information zum richtigen Zeitpunkt?

Zur Kampagne des Nachrichtenmagazins 'Der Spiegel' im Vorfeld des geplanten Kriegs gegen den Irak

Im Spiegel-Artikel vom 3.2.2003 mit dem Titel "Akte Saddam (II) - 'Der gefährlichste Mann der Welt'", heißt es: "Im März 1987 ernannte Saddam seinen mörderischen Cousin Ali Hassan al-Madschid zum Gouverneur des Nordirak. Am 16. März 1988 unternahm Ali Hassan seinen berüchtigten Überfall auf die kurdische Stadt Halabdscha. Er setzte verschiedene chemische Kampfstoffe ein und tötete mindestens 5000 kurdische Zivilisten..." Auf der Titelseite des 'Spiegel' vom 27.1.2003, das sich auch als Werbeträger überall im deutschen Stadtbild wiederfindet, wird diese Darstellung durch ein Bild aus Halabja, das in die Montage eingebaut ist, unterschwellig illustriert.

Am 31.1.2003 heißt es dagegen in der 'New York Times': "Unmittelbar nach der Schlacht (von Halabja) führte die DIA (der militärische Geheimdienst der US-Army) eine Untersuchung durch, deren Ergebnisse in einem Geheimbericht festgehalten wurden. In diesem Bericht stand ganz klar, daß iranisches Gas die Kurden getötet hatte und nicht irakisches. Die Agency (DIA) hatte herausgefunden, daß beide Seiten in der Schlacht um Halabja Giftgas eingesetzt hatten. Der Zustand der Leichen der Kurden deutete jedoch darauf hin, daß sie mit einem Gift getötet wurden, der über die Blutbahnen wirkt, d.h. mit einem Gas auf Zyankali-Basis, das - und dies war bekannt - von Iran eingesetzt wurde. Die Iraker, bei denen davon ausgegangen wurde, daß sie Senfgas eingesetzt hatten, hatten zu jener Zeit kein Gas, das über die Blutbahnen wirkt."

Das ist ein Beispiel für die Fragwürdigkeit der Darstellung im 'Spiegel'.

Und warum der Artikel zu diesem Zeitpunkt? Unmittelbar vor dem geplanten Krieg gegen den Irak soll offensichtlich (wieder) ein entsprechendes Feindbild aufgebaut werden.

Interessant ist die Frage, wie der 'Spiegel' 1988 über den Giftgasangriff vom 16.3.1988 auf Halabja berichtet hat.

Wir suchen in der Ausgabe vom 21.3.1988: Wir finden keine Information über die Vorgänge von Halabja.

Wir suchen in der Ausgabe vom 28.3.1988: Wir finden keine Information über die Vorgänge von Halabja.

Schließlich am 4.4.1988 entdecken wir auf Seite 148 einen Artikel, der sich ca. 3 Wochen nach dem Ereignis mit den Vorgängen von Halabja befaßt. Wir lesen dort von der propagandistischen Wirkung zugunsten des Iran:

"Ajatollah Ruholla Chomeini: ... Der Bagdader Kriegsherr sei ein 'Tier, das sein eigenes Volk chemisch bombardiert'... Sein 'Ekel und Abscheu' richtete sich gegen ein Massaker, das einen neuen grausigen Höhepunkt in dem... iranisch-irakischen Krieg markiert: der Senfgas-Angriff auf die nordirakische Bergstadt Halabdscha, bei der Mitte März über 5000 Zivilisten überwiegend kurdischer Abstammung qualvoll erstickten. Es war der schlimmste Einsatz von Kampfgas seit dem ersten Weltkrieg... Die Bilder von in der Hitze aufgequollenen Leibern und toten Säuglingen in den staubigen Straßen der Stadt gingen in alle Wohnstuben: Die Teheraner Chef-Propagandisten, sonst im Umgang mit westlichen Medien wenig kooperativ, flogen mit Armee-Helikoptern Dutzende Journalisten und Kamera-Crews nach Halabdscha, um, so ein iranischer Funktionär, 'der Welt zu zeigen, wie grausam der teuflische Saddam und sein Regime sind'. Die grauenvollen Bilder von Eltern, die sich schützend über ihre Kinder warfen, sich im Sterben mit ihnen verkrampften, erschütterten die Welt. Die Iraner reizten die Propaganda-Wirkung voll aus..."

Im 'Stern' vom 30.3.1988, einige Tage früher als im 'Spiegel' lesen wir auf S.288:

"Der Tod kommt um 14 Uhr. Eine Mirage der irakischen Lufwaffe jagt über die Stadt Halabja im Nordosten des Landes. Sie ist von Bagdad-feindlichen Kurden bewohnt und von den Iranern erobert worden. Das Flugzeug wirft mehere Bomben ab. Gelblich-weiße Wolken ziehen durch die Straßen. Einer ausländischen Journalistengruppe, die von den Iranern wenige Tage später in die Stadt gebracht wird, bietet sich ein Bild des Schreckens. Keine Wunden, kein Blut sind an den Körpern der Männer, Frauen und Kinder zu sehen, die noch auf den Straßen und in den Häusern von Halabja liegen. Die Haut der Toten ist seltsam verfärbt, die Augen starren ins Leere, ein grauer Schleim ist aus dem Mund getreten, die Finger sind im Todeskampf erstarrt. Daneben liegen die aufgeblähten Körper toter Tiere... Insgesamt, so die iranische Nachrichtenagentur IRNA, starben in Halabja 5000 Menschen, 4000 wurden verletzt, als die Iraker Bomben mit Senf- und Blausäuregas abwarfen, wahrscheinlich auch das Nervengas Tabun..." Quelle der 'Nachricht' ist also offenbar die iranische Nachrichtenagentur IRNA, also eine der Kriegsparteien.

In Zusammenhang mit dem Golfkrieg 1991 bietet sich wieder eine Gelegenheit, die Story von Halabja zum Einsatz zu bringen. Der 'Spiegel' vom 8.4.1991 schreibt auf Seite 168:

"Eine Idylle im wilden Kurdistan - doch dann, am 16. März 1988: brach über Halabdscha das Inferno herein: Ohne Vorwarnung bombardierte die irakische Armee das pittoreske Bergstädtchen mit Senfgas-Granaten. Die Folgen waren fürchterlich: Über 5000 Zivlilisten, vorwiegend kurdischer Abstammung, erstickten qualvoll. Die Bilder von Eltern, die sich schützend über ihre Kinder geworfen und im Sterben mit ihnen verkrampft hatten, erschütterten die Welt. Seither markierte der Name von Halabdscha eines der widerlichsten Kriegsverbrechen des irakischen Despoten Saddam Hussein. Der Chemiewaffen-Angirff auf die unschuldige Bevölkerung, durch die das Paktieren mit Aufständischen bestraft werden sollte, gilt als der schlimmste Einsatz von Kampfgas seit dem Ersten Weltkrieg."

Und jetzt - im Jahr 2003 - im Vorfeld des geplanten Krieges gegen den Irak - übrigens ohne jemals die Verbrechen an den in der Türkei lebenden Kurden in vergleichbarer Weise thematisiert zu haben - ist es wieder an der Zeit, den Fall Halabja zu verwenden, um damit der Weltbevölkerung deutlich zu machen, daß im Irak ein Regime an der Macht ist, das vor einem Völkermord nicht zurückschreckt.

"Der Diktator, der die gefährlichsten Waffen der Welt ansammelt, hat sie bereits gegen ganze Dörfer eingesetzt - wodurch tausende seiner eigenen Bürger getötet, blind oder entstellt wurden... Wenn das nicht das Böse ist, dann weiß ich nicht, was das Böse ist." So US-Präsident George W. Bush in seinem Bericht zur Lage der Nation am 28.1.2003 im Capitol zu Washington.

"Meinen gesamten Ausführungen, allen Fakten und von mir ausgemachten Verhaltensmustern liegt eines zugrunde: Saddam Husseins Missachtung des Willens dieses Rats [UN-Sicherheitsrat], seine Missachtung der Wahrheit und - am verachtenswertesten von allem - seine vollständige Missachtung menschlichen Lebens. Saddam Husseins Einsatz von Senfgas gegen die Kurden im Jahr 1988 war eine der schrecklichsten Gräueltaten des 20 . Jahrhunderts. 5.000 Männer, Frauen und Kinder kamen ums Leben..." So äußert sich US-Außenminister Colin L. Powell vor dem UN-Sicherheitsrat in seiner Rede vom 5.2.2003.

Und der 'Spiegel' schließt sich dieser Kampagne an - mit einer Artikelserie des US-Autors Kenneth Pollack, der auf den Seiten des Inhaltsverzeichnisses (27.1.2003) als Nahost-Experte und ehemaliger CIA-Agent bezeichnet wird.


Bushs erfundener Genozid

Artikel von Rainer Rupp in 'junge Welt' vom 3.2.2003, basierend auf einer Veröffentlichung in der 'New York Times' vom 31.1.2003

CIA-Veteran enthüllt Wahrheit über angeblichen irakischen Giftgasangriff auf das kurdische Halabja

Am vergangenen Freitag hat sich in einem inzwischen weit beachteten Artikel in der New York Times Professor Stephen C. Pelletiere zu Wort gemeldet. Pelletiere hat, aufgrund seiner Biographie und seines Wissens als führender Mitarbeiter der CIA und der US-Army, eine der hinterhältigsten Lügengeschichten zur Rechtfertigung des nächsten US-Krieges gegen Irak nicht nur entkräftet, sondern sie wie eine Seifenblase zum Platzen gebracht. Es geht um die Behauptung, daß Saddam Hussein chemische Waffen gegen die Bürger seines eigenen Landes eingesetzt habe. Dies ist inzwischen zum festen Bestandteil der Vorwürfe all jener geworden, die den Machthaber in Bagdad als Monster darzustellen versuchen, der nur noch mit einem »Präventivkrieg« von Schlimmerem abgehalten werden könne. Der angeblich schlagkräftigste Beweis für die abscheulichen Untaten Saddam Husseins, der immer wieder angeführt wird, betrifft den als Genozid dargestellten angeblichen Giftgasangriff der irakischen Armee gegen das wehrlose kurdische Dorf Halabja in der Nähe der iranischen Grenze. Dort wurden im März 1988, gegen Ende des acht Jahre dauernden Kriegs zwischen Iran und Irak, angeblich bis zu 5000 Dorfbewohner getötet.

»Aufgrund meiner früheren Tätigkeiten weiß ich Bescheid, denn während des Iran-Irak-Krieges war ich Chefauswerter für Irak in der Central Intelligence Agency (CIA), und von 1988 bis 2000 war ich Professor am Army War College«, schrieb Stephen C. Pelletiere in der NYT und fuhr fort: »Ich hatte Zugang zu dem geheimen Material, das mit dem Persischen Golf zu tun hatte und durch Washington floß. Außerdem habe ich seit 1991 eine Untersuchungsgruppe der US-Army geleitet, die herausfinden sollte, wie die Iraker einen Krieg gegen die Vereinigten Staaten führen würden.« Daher habe er sich auch intensiv mit der sogenannten »Halabja-Geschichte« befaßt, über die es einen »sehr detaillierten Geheimbericht« gebe, aus dem jedoch nicht ersichtlich sei, wer nun tatsächlich für die Toten in Halabja verantwortlich ist.

»In Wahrheit wissen wir nur, daß an diesem Tag die Kurden von Halabja mit Giftgas bombardiert wurden. Aber wir können nicht mit Sicherheit sagen, daß es irakische Chemiewaffen waren, welche die Kurden getötet haben«. Aber das sei »nicht die einzige Verfälschung in der Halabja-Geschichte«, so Pelletiere.

»Die Vergasung von Halabja, und das wissen wir mit Sicherheit, erfolgte während einer Schlacht zwischen Irakern und Iranern«, führt Pelletiere in der NYT weiter aus. »Irak setzte Chemiewaffen ein, um die Iraner zu töten, die das (irakische) Dorf unweit der iranischen Grenze besetzt hatten. Wenn also dabei kurdische Zivilisten getötet wurden, dann hatten sie das Pech, ins Kreuzfeuer geraten zu sein. Aber ganz sicher waren sie nicht das Hauptziel der Iraker«, betonte der ehemalige CIA-Auswerter, um dann auf einen »dunkleren Teil der Geschichte« hinzuweisen:

»Unmittelbar nach der Schlacht (von Halabja) führte die DIA (der militärische Geheimdienst der US-Army) eine Untersuchung durch, deren Ergebnisse in einem Geheimbericht festgehalten wurden«, so Pelletiere. »In diesem Bericht stand ganz klar, daß iranisches Gas die Kurden getötet hatte und nicht irakisches. Die Agency (DIA) hatte herausgefunden, daß beide Seiten in der Schlacht um Halabja Giftgas eingesetzt hatten. Der Zustand der Leichen der Kurden deutete jedoch darauf hin, daß sie mit einem Gift getötet wurden, der über die Blutbahnen wirkt, d.h. mit einem Gas auf Zyankali-Basis, das - und dies war bekannt - von Iran eingesetzt wurde. Die Iraker, bei denen davon ausgegangen wurde, daß sie Senfgas eingesetzt hatten, hatten zu jener Zeit kein Gas, das über die Blutbahnen wirkt«, führt Professor Pelletiere seine Beweisführung über die Lügen der Regierungen Bush und Blair zu Ende.

Zugleich brachte Pelletiere sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, daß »diese Fakten schon seit langem öffentlich bekannt sind, aber im Zusammenhang mit der Halabja-Affäre so gut wie nie erwähnt werden«. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen der DIA-Bericht, daß iranisches Gas die Kurden von Halabja getötet hat, dennoch erwähnt würde, würde sofort spekuliert, daß der Bericht zugunsten Saddam Husseins politisch frisiert worden sei, der 1998 von Washington noch als guter Freund gehätschelt wurde. »Ich versuche hier nicht, Saddam Hussein zu rehabilitieren«, schließt Pelletiere, er sei schließlich für viele Verstöße gegen die Menschenrechte verantwortlich. Aber »ihm die Vergasung seiner eigenen Leute in Halabja als Akt des Völkermords vorzuwerfen, das ist nicht korrekt.«


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Der Krieg und die Medien - Wie die Menschen auf den Krieg eingestimmt werden