Ziegenhals bei Berlin, 9.2.2003, Vor 70 Jahren sprach der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann hier auf der 'illegalen Tagung des ZK der KPD'Bilder

Unablässiger Kampf gegen Hitler

Auszüge aus der Rede, die der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann vor den etwa 40 Teilnehmern am 7.2.1933 im Sporthaus Ziegenhals hielt - dokumentiert in 'junge Welt' vom 8.2.2003

Vor 70 Jahren sprach Ernst Thälmann auf der »Illegalen Tagung des ZK der KPD« im Sporthaus Ziegenhals bei Berlin

* Für Sonntag, den 9. Februar, lädt der »Freundeskreis Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals« zu einer Gedenkveranstaltung in das Sporthaus Ziegenhals ein. Es sprechen Peter Florin und Erich Selbmann. Das Programm gestalten Marta von Schnitzler-Rafael, Margit Brückner-Schaumäker, Otto Mellies, der Ernst-Busch-Chor Berlin, der Arbeiter- und Veteranenchor Neukölln und die Gruppe »Liedschatz«. Beginn der Veranstaltung: 10.30 Uhr. Verkehrsverbindung: 9.30 Uhr Bus vom S-Bahnhof Königs Wusterhausen Richtung Schmöckwitz bzw. 10.10 Uhr Bus von Alt-Schmöckwitz Richtung Königs Wusterhausen jeweils bis Sporthaus Ziegenhals.

Am 7. Februar 1933, eine Woche nach der Machtübertragung an Hitler, fand im »Sporthaus Ziegenhals«, einer Gaststätte am östlichen Ufer des Zeuthener Sees südöstlich von Berlin, die »Illegale Tagung des ZK der KPD« statt. Zum Gedenken daran wurde am 9. Februar 1953 in dem Gebäude die »Ernst-Thälmann-Gedenkstätte« eingeweiht. Seit 1990 kämpft der »Freundeskreis Ernst-Thälmann-Gedenkstätte« um deren Erhalt. Die Zukunft der Gedenkstätte ist nach der Versteigerung des »Sporthauses Ziegenhals« ungewiß.

Wir dokumentieren Auszüge aus der Rede, die der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann vor den etwa 40 Teilnehmern der Tagung 1933 hielt. Ein Manuskript oder Stenogramm der Rede wurde bisher nicht aufgefunden. Es sind lediglich jene Auszüge unbekannter Herkunft erhalten, die von der Nazijustiz in die Anklageschrift gegen Ernst Thälmann aufgenommen wurden. Ihre Wiedergabe erfolgt nach der Abschrift, die Ernst Thälmann von dieser Anklageschrift anfertigte.

Genossen! Die Bedeutung der heutigen Konferenz ergibt sich schon aus der Tatsache, daß zweifelsohne durch die Bildung der Hitlerregierung eine solche Zuspitzung des Klassenkampfes eingetreten ist, wie wir sie seit 1918 kaum mehr zu verzeichnen hatten. Das Proletariat und die Werktätigen der ganzen Welt blicken auf uns und das deutsche Proletariat. Die russischen Arbeiter und Bauern blicken auf uns. Die kommunistischen Bruderparteien in Frankreich, in der Tschechoslowakei, Holland und überall haben glänzend ihre Solidarität mit dem schweren Kampf des Proletariats verkündet. Die deutsche Partei hat einen wichtigen Schlüssel für den revolutionären Aufschwung in ganz Europa in ihrer Hand. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Jetzt droht der Staatsstreich. Jetzt droht die Vernichtung der Partei. Jetzt sind in höchstem Grade entscheidende Wochen.

Der Kampf, der vor uns liegt, ist der schwerste, den die Partei zu bestehen hat. Er kann nicht verglichen werden mit den Jahren seit 1923. Er gibt jedem Kommunisten eine noch höhere Verantwortung als selbst in der damaligen Situation. Unmittelbar müssen wir die Offensive ergreifen, dann haben wir die Chance für uns. (...)

Das Kabinett Hitler-Hugenberg-Papen ist die offene faschistische Diktatur. Was die Zusammensetzung der Regierung anbetrifft, so kann es in Deutschland eine weitere Steigerung in der Richtung des offenen Faschismus kaum mehr geben. Wohl aber gibt es in den Methoden dieser Regierung der offenen faschistischen Diktatur noch eine ganze Reihe von Steigerungsmöglichkeiten. Jeder Zweifel darüber, daß diese Regierung vor irgendwelchen balkanischen Methoden des äußersten Terrors zurückschrecken würde, wäre sehr gefährlich.

Es ist der Bourgeoisie ernst damit, die Partei und die ganze Avantgarde der Arbeiterklasse zu zerschmettern. Sie wird deshalb kein Mittel unversucht lassen, um dieses Ziel zu erreichen. Also nicht nur Vernichtung der letzten spärlichen Rechte der Arbeiter, nicht nur Parteiverbot, nicht nur faschistische Klassenjustiz, sondern alle Formen des faschistischen Terrors; darüber hinaus: Masseninternierung von Kommunisten in Konzentrationslagern, Lynchjustiz und Meuchelmorde an unseren tapferen antifaschistischen Kämpfern, insbesondere an kommunistischen Führern – das alles gehört mit zu den Waffen, deren sich die offene faschistische Diktatur uns gegenüber bedienen wird.

Schon die ersten Tage der Hitlerregierung beweisen den ganzen tiefen Ernst der Situation. Es wäre ein Verbrechen, irgendwelche legalistischen Illusionen in unseren Reihen zu dulden. Wir müssen in der ganzen Arbeiterklasse darüber Klarheit schaffen, daß es wahrscheinlich keine andere Art der Ablösung dieser Regierung geben kann als ihren revolutionären Sturz.

Das bedeutet nicht, daß der Sturz der Hitlerregierung und der Sieg der proletarischen Revolution unbedingt ein und dasselbe sein muß. Wir stellen die Frage des Kampfes für den Sturz der Hitlerregierung, die Frage der Beseitigung der Hitler-Hugenberg-Regierung als unmittelbare Aufgabe. Wir stellen sie in jeder Stunde, wir stellen sie heute, wir stellen sie morgen, übermorgen, wir stellen sie in den nächsten Wochen und Monaten, ohne daß wir unter allen Umständen zu 100 Prozent sagen können, daß, wenn uns der Sturz der faschistischen Diktatur gelingt, dies schon mit dem Sieg der proletarischen Revolution direkt verbunden ist. Das müssen wir so scharf sagen, weil wir den heftigsten Feldzug ideologischer Art in den Massen gegen jede Theorie des »Abwirtschaftenlassens« der Hitlerregierung führen müssen. Diese Feststellungen schließen jedoch – ich betone das noch einmal – keineswegs aus, daß der Kampf zum Sturz der Hitlerregierung gleichzeitig in den Kampf um die volle Macht des Proletariats umschlagen kann(...)

Was ist die Bilanz unseres bisherigen Kampfes gegen die faschistische Diktatur? Wir waren nicht imstande, die Aufrichtung der faschistischen Diktatur bis zur heutigen offenen faschistischen Diktatur zu verhindern, obwohl wir den Kampf der Massen dafür organisiert haben. Das ist gewiß eine ernste negative Feststellung. Aber umgekehrt können wir sagen, daß wir den faschistischen Kurs der Bourgeoisie empfindlich gestört haben. Wir haben sie dabei aufgehalten, stellenweise sogar zurückgeworfen, wie bei der Sprengung der Papen-Regierung. Zu dieser positiven Einschätzung unserer wachsenden Kampfkraft und damit der wachsenden Kampfkraft der Arbeiterklasse Deutschlands sind wir berechtigt, ohne unsere Schwächen zu übersehen. Eine solche positive Einschätzung muß der Ausgangspunkt für unsere höhere revolutionäre Aufgabenstellung sein (...)

Worauf kommt es jetzt vor allem an? Wir müssen erreichen, daß die Kette der Massenaktionen und Massenkämpfe gegen die faschistische Diktatur in ganz Deutschland nicht mehr abreißt (...) Die Anwendung einer solchen Taktik des unablässigen Kampfes, der ununterbrochenen Massenaktionen stellt uns gerade die Aufgabe, alles daranzusetzen, um möglichst rasch die vielen Teilaktionen und Teilkämpfe zum großen, umfassenden Massenstreik, ja zum Generalstreik zu steigern (...)

Diese Linie, die wir in allen bisherigen Aufrufen des Zentralkomitees mit der Losung: Streik – Massenstreik – Generalstreik! konkret zusammengefaßt haben, gilt es, in der Praxis durchzusetzen. (...)

Wir müssen die größte Stoßkraft entfalten zur Gewinnung der proletarischen und werktätigen Jugend aus der SAJ, aber sogar aus der Hitlerjugend müssen wir einzelne und ganze Massen herüberreißen. Wir müssen gegen die Zwangsarbeit, gegen die Zuchthauslager und die Kasernierung mit der Arbeitsdienstpflicht, gegen die Militarisierung der Jugend Sturm laufen.

Gegen die chauvinistische Kriegshetze und imperialistische Kriegspolitik des Faschismus müssen wir die Massenpropaganda für den proletarischen Internationalismus, für unsere Freiheitspolitik entfalten.

Wir müssen den Massen unser Programm zeigen als das Programm des einzigen Auswegs aus Elend, Not und Unterdrückung, als Programm der sozialen und nationalen Befreiung des deutschen Volkes. Wir müssen ihnen zeigen, daß wir die Partei sind, die durch die Befreiung der Arbeiterklasse die Einheit der Nation verwirklicht, indem sie das kapitalistische System bis zu dessen Vernichtung bekämpft. (...)

Unsere Losung des Kampfes für den Sturz der Hitlerregierung kann unter bestimmten Voraussetzungen in den Kampf zur Beseitigung der bürgerlichen Klassenherrschaft überhaupt, in den Kampf um die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und die Aufrichtung der proletarischen Diktatur übergeleitet werden. Das braucht nicht so zu sein, aber es muß unsere ganze Aktivität und Anstrengung darauf gerichtet werden, die Massen so rasch wie möglich an den Machtkampf heranzuführen (...)

Genossen! Wir als einzige sind die Einpeitscher des Kampfes gegen die faschistische Konterrevolution. Wir müssen den Verzweifelten und Müden den Weg zeigen. Wir müssen an der Spitze des kämpfenden Proletariats zum Sieg des Sozialismus gelangen. Wir peitschen die Massen, die noch in den Reihen der klassenfeindlichen Parteien stehen, auf, sich gegen ihre Führer zu empören und sich in die revolutionäre Freiheitsfront einzureihen. Wir sind die einzige Partei des Kampfes gegen den kapitalistischen Staat, wie wir die einzige Partei sind, die die volksfeindliche Politik der kapitalistischen Regierungen anprangert.

Quelle: http://www.jungewelt.de


Gedenken in Ziegenhals

Artikel von Peter Rau in 'junge Welt' vom 10.2.2003

Freundeskreis der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte erinnerte an bedeutsame KPD-Tagung vor 70 Jahren

Eigentlich waren es zwei Daten, die den Freundeskreis »Ernst-Thälmann-Gedenkstätte« e. V. Ziegenhals zu seiner Einladung in den kleinen Ortsteil von Niederlehme im Südosten von Berlin veranlaßten. Neben dem 70. Jahrestag des letzten Auftritts des KPD-Vorsitzenden vor dem Zentralkomitee seiner Partei am 7. Februar 1933 war es zugleich der 50. Jahrestag der Einweihung der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte am historischen Ort jener Tagung, der Gaststätte »Sporthaus Ziegenhals«.

Wie in den zurückliegenden Jahren waren auch am gestrigen Sonntag erneut Hunderte in die denkmalgeschützte Anlage am Südostufer des Großen Zugs, dem Wasserweg zwischen Zeuthener und Krossinsee, gekommen. Eine sicher sehr bescheidene Zahl angesichts jener hunderttausend, die zu DDR-Zeiten Jahr für Jahr Ziegenhals besuchten, oder jener »zehntausend Werktätigen, FDJ-Mitglieder und antifaschistischen Widerstandskämpfer (JW vom 5./6. Februar 1983), die am 4. Februar 1983 bei der Kundgebung zum 50. Jahrestag in der Gedenkstätte zusammenkamen. Damals konnte übrigens mit der 82jährigen Lisa Ullrich – als Leiterin der Frauenabteilung des ZK der KPD die einzige weibliche Teilnehmerin – die letzte Zeitzeugin begrüßt werden.

20 Jahre später waren es mit dem 1921 geborenen Peter Florin, dem ehemaligen stellvertretenden Außenminister und langjährigen ständigen Vertreter der DDR bei den Vereinten Nationen, und mit dem früheren Vizevorsitzenden des Staatlichen Komitees für Fernsehen Erich Selbmann (Jahrgang 1926) die Söhne zweier KPD-Funktionäre, die 1933 zu den etwa 40 Teilnehmern der Tagung gehört hatten: der Reichstagsabgeordnete und Leiter des KPD-Bezirks Sachsen, Fritz Selbmann, (1899–1975; in den 50er Jahren Minister und stellvertretender Ministerpräsident der DDR), und das ZK-Mitglied Wilhelm Florin, der 1943 zu den Mitbegründern des Nationalkomitees »Freies Deutschland« gehörte und ein Jahr später 50jährig in der sowjetischen Emigration verstarb.

Nach einer Ehrung an der von Fahnen der KPD, der DKP und der PDS gesäumten Thälmann-Büste im Hof der ehemaligen, seit 1998 geschlossenen Gaststätte erinnerten Florin und Selbmann in kurzen Ansprachen an die Umstände jenes konspirativen Treffens von führenden Funktionären der Arbeiterpartei nur eine Woche nach der Machtübertragung an die Nazis. Auf die Bedeutung jener Beratung in einem Hinterzimmer der Gaststätte eingehend, verwiesen sie darauf, daß sich die Kommunisten als erste und am entschiedensten zum Kampf gegen die Diktatur und den geplanten Weltkrieg formierten, deshalb aber auch am erbittertsten vom Naziregime verfolgt wurden. Dafür spreche nicht zuletzt die Tatsache, daß die Hälfte der damals in Ziegenhals versammelten Mitglieder bzw. Kandidaten des Zentralkomitees und der KPD-Bezirkssekretäre wie Thälmann selbst die faschistische Diktatur nicht überleben sollten. Andererseits habe das Referat Thälmanns (siehe auch jW vom 8./9. Februar) zur Analyse der Lage, die eigenen Fehler der Vergangenheit auswertend, die Partei vor allem auf die bevorstehenden Auseinandersetzungen eingestimmt und auf die Aktionseinheit mit allen Gegnern des zum Krieg treibenden Regimes orientiert. Die Mahnung von Ziegenhals, so Erich Selbmann abschließend, sei deshalb nicht nur wichtig fürs Geschichtsbuch, sondern auch für die Kämpfe der Gegenwart.

Quelle: http://www.jungewelt.de