Mittenwald, Pfingsten, 7./8.6.2003, Protest gegen die 'Traditionspflege' der Gebirgsjäger von Wehrmacht und BundeswehrBilder

Gegen die 'Traditionspflege' der Gebirgsjäger

Pressemitteilung und Einladung zur Pressekonferenz, München 30.5.2003

Pfingsten 2003: Gegen die 'Traditionspflege' der Gebirgsjäger - Bestrafung für Kriegsverbrecher, Entschädigung für Opfer

Am Pfingstsamstag und Pfingstsonntag 2003 (7. und. 8. Juni) veranstalten die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und der "Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege" in Mittenwald/Oberbayern ein Hearing, eine Demonstration und eine Kundgebung zusammen mit NS-Opfern aus Griechenland und Italien. Anlass ist das alljährlich Pfingst-"Traditionstreffen" der Gebirgsjäger in Mittenwald. Thematisiert werden die Verbrechen der Gebirgstruppe im Zweiten Weltkrieg und die bis heute ausstehende Entschädigung für Opfer des NS-Regimes in Griechenland.

Im Vorfeld dieser Veranstaltungen findet dazu eine Pressekonferenz mit Gästen aus Griechenland in München statt:

Freitag, 6. Juni 2003, 14.00 Uhr,
Café Glockenspiel, Marienplatz 28, 80331 München, Tel. 089/26 42 56, Fax 089/26 3647.

Bei der Pressekonferenz sprechen:
  • Ernst Grube, Landessprecher der VVN-BdA Bayern, Überlebender des KZ Theresienstadt, München
  • Aristomenis Sygelakis, Nationalrat für die Entschädigungsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland, Athen
  • Argyris N. Sfountouris, Überlebender des Massakers von Distomo, Schriftsteller, Zürich/Athen
  • Ludwig Baumann, Vereinigung der Opfer der Militärjustiz, Bremen
  • Martin Klingner, Rechtsanwalt, AK Distomo, Hamburg
  • Ulrich Sander, Journalist und Buchautor, VVN-BdA, Dortmund
Wir laden Sie zu der Pressekonferenz in München und zu den Veranstaltungen in Mittenwald herzlich ein.

Mit freundlichen Grüßen:
AK Angreifbare Traditionspflege, Stephan Stracke
VVN-BdA Bayern, Ernst Antoni

Programm in Mittenwald:

Samstag, 7.Juni 2003: Hearing von 9.30-18.00 Uhr im Veranstaltungssaal des TSV, Obermarkt 54a
18.00 Uhr: Mahngang und Kundgebung, Dekan-Karl-Platz in Mittenwald

Sonntag, 8. Juni: 9.30 Uhr Mahnwache gegen die Brendtenfeier am Parkplatz Luttensee
(Weitere Informationen zum Hearing in Mittenwald: siehe unten)

Kontakte:
VVN-BdA Bayern, Frauenlobstr. 24, 80337 München, Tel. 089/53 17 86;
AK Angreifbare Traditionspflege, Tel. 0178/5310941; AK Distomo, Tel. 0173-5714842
Pressehandy ab 4.Juni 2003: 0162/1530800. E-Mail: angreifbare.tradition@freenet.de

Informationen zu Hearing und Kundgebungen über die Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger und die Entschädigungsforderungen der Opfer:

Seit 1952 treffen sich jährlich zu Pfingsten ehemalige Gebirgsjäger der Wehrmacht. Das Treffen findet seit vielen Jahren am Hohen Brendten in Mittenwald statt. Dort organisiert der "Kameradenkreis der Gebirgstruppe", ein Zusammenschluss von Wehrmachtsveteranen und Bundeswehrsoldaten, jeden Pfingstsonntag eine Gedenkfeier mit Militärgottesdienst für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Gebirgsjäger.

Das Mittenwalder Treffen mit bis zu 5000 Teilnehmern ist das größte Treffen deutscher Wehrmachts-Veteranen. Die in Mittenwald zelebrierte "Traditionspflege" steht im Widerspruch zu den von Historikern nachgewiesenen Kriegsverbrechen. Auf ihren Veranstaltungen und in ihren Publikationen werden die Kriegsverbrechen teilweise offensiv geleugnet und über die Opfer der Gebirgsdivisionen fällt kein Wort.

Als es ab 1968 Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen gegen ehemalige Angehörige der Gebirgstruppen gab, nutzten die Betroffenen die Pfingsttreffen, um ihre Aussagen und ihre Verteidigungsstrategie untereinander abzusprechen. Mit großem Erfolg. Nicht ein einziger Gebirgsjäger wurde von der deutschen Justiz zur Rechenschaft gezogen. Zu Unrecht: Historiker konnten den Gebirgstruppen zahllose Massaker nachweisen. Zu nennen sind u. a. Kephallonia (6.000 ermordete Kriegsgefangene), Kommeno (317 Frauen, Männer und Kinder), Lyngiades (80 Menschen), Skines (146 Männer und 2 Frauen), Camerino (98 ZivilistInnen) und viele mehr.

Pfingsten 2003 veranstalten der "Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege" und die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) am traditionellen Stationierungsort der 1.Gebirgsdivision in Mittenwald ein Hearing zu den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger und zu den Entschädigungsforderungen der Opfer. Dabei steht Griechenland im Mittelpunkt. Die Referenten sprechen zu folgenden Themen:
  • Verbrechen der Gebirgsjäger in Griechenland ( Prof. Schminck-Gustavus, Universität Bremen / Amos Pampaloni, Florenz, Überlebender von Kephallonia, / Christina Dimou, Überlebende von Kommeno)
  • Traditionsverständnis der Bundeswehr (AK AngreifbareTraditionspflege)
  • Entschädigungsforderungen griechischer NS-Opfer ( Aristomenis Sygelakis, Nationalrat für die Entschädigungsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland, Athen, und Argyris N. Sfountouris, Überlebender von Distomo, Schriftsteller, Zürich/Athen.)
  • Juristische (Nicht-)Verfolgung der Täter: Prof. Dr. Ludwig Elm, Jena, (Thema: "Geiselnahme und -tötung war rechtens! Juristische Aufarbeitung der Wehrmachtsverbrechen"),
  • Soldat und Kriegsverbrechen: Möglichkeiten individuellen Verhaltens (Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, und Peter Gingold, Auschwitz-Komitee und VVN-BdA)
Moderation: Karola Fings , Historikerin, Köln.

Das Hearing soll die Entschädigungsforderungen griechischer NS-Opfer gegenüber der Bundesrepublik Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen und sie wirksam unterstützen, einen Beitrag zur Wiederaufnahme von Ermittlungsverfahren gegen Gebirgsjäger der Wehrmacht wegen Kriegsverbrechen leisten und die Öffentlichkeit über das problematische Traditionsverständnis deutscher Soldaten informieren und eine gesellschaftliche Debatte dazu anregen.


Nichts ist vergessen!

Flugblatt 'Gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger - Bestrafung der Kriegsverbrecher! Entschädigung aller NS-Opfer!' - Aufruf zu Aktionen Pfingsten 2003

Nahe der österreichischen Grenze, umgeben von steilen Bergen und stillen Gewässern, lädt der Ferienort Mittenwald zu einem Aufenthalt ein. Das regional spezifische Reizklima ist besonders an den Pfingstfeiertagen deutlich spürbar, wenn sich die alten Gebirgsjäger-Kameraden der Wehrmacht gemeinsam mit ihren Bundeswehr-Nachfolgern versammeln, um althergebrachte Werte und Traditionen zu pflegen. Sie leugnen noch heute die von ihnen begangenen Massaker und Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges u. a. in Griechenland (Kommeno, Kephallonia, Lyngiades, Skines), in Italien (Camerino, Fabriano), in Frankreich ( im Vercors), in Finnland (Rovaniemi) und in weiteren Orten Jugoslawiens, Polens, Albaniens, der Sowjetunion und dem Kaukasus.

In Kommeno (Nordgriechenland) fuhren Soldaten der 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 98 am 16. August 1943 zum Morden "feldmarschmäßig"mit Maultieren und dem Küchenwagen vor und erschossen 317 Frauen Männer und Kinder. Die unter dem Kommando des späteren Stabsoffiziers der Bundeswehr Reinhold Klebe stehenden Soldaten ermordeten nicht nur Zivilisten, sondern schändeten Frauenleichen und gaben das Dorf zum privaten Raubzug frei. Dieses bestialische Massaker blieb kein Einzelfall. Im September 1943 beteiligten sich Soldaten der 1. Gebirgsdivision an der Entwaffnung der italienischen Armee in Griechenland und erschossen ca. 4.000 gefangengenommene Soldaten auf der Insel Kephallonia. Die Mörder zogen weiter. In Joannina. unterstützte die 1. Gebirgsdivision die Geheime Feldpolizei bei der Ghettoisierung und Deportation der griechischen Jüdinnen und Juden. Jüdische Partisanen wurden hingerichtet. Griechische ZivilistInnen, die die Massaker überlebten, wurden als Geiseln festgehalten oder nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt. Unter dem Deckmantel der sogenannten "Bandenbekämpfung" ermordeten Gebirgsjäger-Einheiten über 1.000 GriechInnen und zerstörten allein im Oktober 1943 im Epirusgebiet mehr als 100 Dörfer. Auch in Italien wurden im Juni 1944 in den Dörfern Camerino und Fabriano im Zuge der "Partisanenbekämpfung" über 100 ZivilistInnen von Angehörigen der 5. Gebirgsjäger-Division ermordet. Für diese Kriegsverbrechen wurde nicht ein einziger Gebirgsjäger von der deutschen Justiz zur Rechenschaft gezogen.

Im bayerischen Mittenwald feiern Angehörige der faschistischen deutschen Wehrmacht und der Bundeswehr noch heute ihre vergangenen und aktuellen Fronterlebnisse. Voller Stolz erleben die greisen Wehrmachtssoldaten, dass Bundeswehrsoldaten in SFOR- und KFOR-Einheiten heute wieder auf dem Balkan kämpfen, wo sie selbst schon vor 60 Jahren wüteten. Die Soldaten der Gebirgsjäger-Einheiten beschwören eine Tradition von den kaiserlichen Truppen des Ersten Weltkrieges über die Wehrmacht Nazi-Deutschlands bis zur heutigen Bundeswehr.

Zu ihrer größten Überraschung wurden die Feiern der Gebirgstruppe Pfingsten 2002 zum ersten Mal seit 1952 gestört! AntifaschistInnen aus der gesamten Bundesrepublik folgten der Einladung des Fremdenverkehrsvereins Mittenwald, am samstäglichen Kameradschaftstreffen teilzunehmen. Sie wollten eine Gedenkminute zu Ehren der ermordeten Menschen am Versammlungsort der Täter abhalten und die Anwesenden mit der mörderischen Geschichte der Gebirgstruppe konfrontieren. Alte und junge Kameraden reagierten darauf äußerst aggressiv. Die bayerische Polizei würdigte die antifaschistischen Bemühungen, indem sie alle BesucherInnen einer Jugendherberge, unter denen sie TeilnehmerInnen der Gedenkveranstaltung vermutete, festsetzte und die Herberge selbst zum Ort der Ingewahrsamsnahme erklärte. Stundenlang wurde das Haus von der Polizei samt Hundestaffeln umstellt, bevor den inzwischen sehr hungrigen und durstigen Gästen erlaubt wurde, sich zu versorgen. Zur gleichen Zeit trafen sich rund 2.000 ehemalige und aktive Gebirgsjäger zur größten deutschen Soldatenfeier am Ehrenmal "Hoher Brendten" auf nahe gelegenem Bundeswehrgelände. Der Versuch, am späten Nachmittag eine spontane Kundgebung in Mittenwald durchzuführen, um sowohl über das Kameradentreffen als auch über die Festnahme der AntifaschistInnen zu informieren, wurde durch einen weiteren Polizeieinsatz vereitelt.

Die "unangreifbare Traditionspflege" (Zitat Stoiber) alter und junger Militaristen und Mörder wollen und dulden wir nicht. Wir wollen keine Zukunft, die irgendwelche Militärs mitgestalten. Das Militär hat keine Zukunft, es ist Garant einer Gegenwart, die jeder emanzipatorischen Politik entgegensteht. Wir wollen keine Entschuldigung für das eine oder andere Massaker, wir wollen dass die Überlebenden der Massaker endlich von der BRD entschädigt werden.

Pfingsten 2003, also am 7. und 8. Juni 2003 werden wir die Gemeinde Mittenwald und die Gebirgsjäger-Kameraden erneut besuchen. Wir wollen in Mittenwald die Entschädigungsforderungen griechischer NS-Opfer gegenüber der Bundesrepublik Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen und sie wirksam unterstützen und einen Beitrag zur Wiederaufnahme von Ermittlungsverfahren gegen Gebirgsjäger der Wehrmacht wegen Kriegsverbrechen leisten.

Wir rufen AntifaschistInnen und AntimilitaristInnen dazu auf, an einem Hearing, an Demonstrationen und Aktionen in Mittenwald und am Hohen Brendten teilzunehmen. Zu dem Hearing zu den Kriegsverbrechen der deutschen Gebirgsjäger und zu den Entschädigungsforderungen der Opfer sind u.a. VertreterInnen des Griechischen Nationalrats der Opferverbände aus Athen, Überlebende der Massaker aus Griechenland, MilitärhistorikerInnen und WiderstandskämpferInnen eingeladen.

Nichts ist vergessen! Bestrafung der Kriegsverbrecher! Entschädigung aller NS-Opfer!

VeranstalterInnen: AK Angreifbare Traditionspflege, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA , unterstützt vom AK Distomo


"50 Zivilisten erschossen, die Ortschaft niedergebrannt"

Hintergrundinformation zum Dia-Vortrag über 'Verbrechen der Gebirgsjäger in Griechenland' von Prof. Schminck-Gustavus, Universität Bremen - Text des Dokuments in Bild 26 (Bundesarchiv - Militärarchiv: Lagemeldungen)

Nachmeldung zur Abendmeldung der Truppe: 3.10.43

Felders. Btl. 79

Felders.Btl.79 meldet den Abschluss der Unternehmung gegen Lingiades und Strumi. Lingiades und die Höhen 1015 und 1277 wurden gegen schwachen Feindwiderstand genommen. 50 Zivilisten, die sich z.T. in den Häusern versteckt hielten, wurden erschossen, die Ortschaft niedergebrannt.

Eigene Verluste, 1 Leichtverwundeter.

Die Ortschaft Strumi war nur von Frauen und Kindern bewohnt und wurde mit Rücksicht auf die Jungvieh- und Schafbestände sowie landwirtschaftlichen Vorräte nur z.T. zerstört.


"Das Tötenmüssen von Frauen und Kindern"

Hintergrundinformation zum Dia-Vortrag über 'Verbrechen der Gebirgsjäger in Griechenland' von Prof. Schminck-Gustavus, Universität Bremen - Text-Auszug aus weiteren im Dia-Vortrag gezeigten Schriftstücken

Evang.Div.Pfarrer
1.Gebirgs Division
Div.St: u, den 15. Oktober 1943

An 1 b:
Betreff: Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 21.6. - 30.9.43.

(...) Aufgrund der verschiedenen Truppenbesuche und Gespräche konnten folgende Beobachtungen - es sind Beobachtungen ganz verschiedener Art - gemacht werden:

Die Neigung zum Plündern trat auch diesmal wieder besonders bei dem Vorgehen gegen die Italiener zu Tage.

(...) von verschiedenen Seiten wurden auch Stimmen gegen gewisse Darbietungen einzelner Varietégruppen laut und diese wegen ihres schmutzigen Inhaltes eindeutig von Offizier wie von manchem Mann abgelehnt. Ebensolche Ablehnung erfährt von manchen die Einrichtung eines Wehrmachtbordelles in Jannina, zumal sie mit der sonstigen Erziehung der Truppe, wie sie in den "Mitteilungen für das Offizier-Korps" gefordert wird, in krassem Widerspruch steht.

Eine schwere innere Belastung ihres Gewissens bedeutet für viele, auch Offiziere, das Tötenmüssen von Frauen und Kindern bei den Unternehmen gegen die Banden. Darüber wurde dem Pfarrer gegenüber des öfteren geklagt. Der Gewissenskonflikt besteht für die Leute darin, daß sie einerseits keine Befehlsverweigerung begehen, andererseits aber sich auch keiner Übertretung des göttlichen Gebotes schuldig machen wollen.

Noch vielmehr sollten es sich die Einheiten angelegen sein lassen, besonders wenn es die Verhältnisse, wie sie im Augenblick sind, zulassen, die Gräber ihrer Gefallenen und Verstorbenen zu photographieren und den Angehörigen diese Bilder von der Grabstätte zu überschicken; denn immer wieder zeigt es sich, wie großen Wert die Hinterbliebenen auf ein solches Bild legen.

(handschriftliche Unterschrift)
Wehrmachtpfarrer



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