Berlin, 6.12.2003, PDS-LandesparteitagBilder

"...von Protesten begleitet"

Kurz-Information der PDS vom 7.12.2003 über den Landesparteitag der Berliner PDS

I.
Am 6. und 7. 12. 2003 beriet der Landesparteitag der Berliner PDS im Hotel »maritim«. Zu Beginn sprach der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky. Landesvorsitzender Stefan Liebich zog eine Bilanz über zwei Jahre Rot-Rot in Berlin und sprach über die Aufgaben der Berliner PDS 2004. Landesgeschäftsführer Carsten Schatz eröffnete die Aussprache zur Parteireform der PDS.

Die General-Debatte war von Protesten begleitet. Studierende demonstrierten für bessere Bedingungen an Unis und Hochschulen. Blinde kritisierten die geplanten Kürzungen ihrer Ausgleichsbezüge. Vertreter beider Gruppen sprachen auf dem Parteitag.

II.
Der Parteitag wählte einen 20-köpfigen Landesvorstand.
  • Landesvorsitzender: Stefan Liebich 72,0%
  • stellv. Landesvorsitzende: Halina Wawzyniak 86,6%
  • Annegret Gabelin 70,6%
  • Klaus Lederer 86,6%
  • Landesgeschäftsführer: Carsten Schatz 80,5%
  • Landesschatzmeisterin: Sylvia Müller 90,3%
III.
Der Landesparteitag fasste u.a. folgende Beschlüsse:

1. Mit klarer Mehrheit wurde der Antrag »Die Aufgaben der Berliner PDS in den Jahren 2004/05« beschlossen. Er beschreibt Ziele der Regierungspolitik in Berlin und orientiert auf die EU-Wahlen 2004.

2. Ebenso deutlich votierten die Delegierten für den Antrag »Den Stein weiter rollen lassen – Agenda sozial der PDS fortentwickeln«. Damit soll der Widerstand gegen Agenda 2010 in neuer Qualität entwickelt werden.

3. Angenommen wurde der Antrag »Keine Studiengebühren in Berlin. PDS bietet Studierenden Dialog an.« Er bekräftigt die Beschlusslage und er eröffnet einen breiten Diskurs über Hochschulpolitik, auch über das Studienkonten-Modell.

4. Damit korrespondiert der Beschluss: »Studentenproteste in Berlin!« Die Berliner PDS unterstützt die bundesweiten Proteste gegen Bildungs- und Sozialabbau, die 2004 in einen euopa-weiten Aktionstag münden sollen.

5. Im selben Kontext beschloss der Parteitag einen Antrag zur »Einführung einer Umlagefinanzierung für die Berufsbildung«. Sollte der Bundestag kein entsprechendes Gesetz erlassen, soll Berlin im Bundesrat aktiv werden.

6. Der Parteitag erneuert die Forderung: »Den Berliner Tarifvertrag einhalten – den vereinbarten Einstellungskorridor umsetzen!« Dabei geht es vor allem um Erzieherinnen für Kitas und um Stellen im Polizeivollzugsdienst.

7. Die Delegierten nahmen einen Antrag zur »Weiterführung des Umweltmagazins ›Ozon‹ im gemeinsamen Programm des ›RBB‹« an. Damit unterstützt die PDS eine Kampagne vom Naturschutzbund Deutschland.

8. Rituell beschloss der Parteitag, dass die verschiedenen »Ehrungen von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg anlässlich des Jahrestages ihrer Ermordung« auch im kommenden Januar als gleichberechtigt betrachtet werden.

Keine Mehrheiten fanden folgende Anträge:

9.Die Senatsmitglieder und Abgeordneten sollten aufgefordert werden, einer Absenkung des Blindengeldes nicht zuzustimmen. Mit Ja stimmten 32 Delegierte, mit Nein 50, weitere 28 enthielten sich bei der Abstimmung.

10.Außerdem ging es um die 1999 verfügte Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und um aktuelle Gebühren-Erhöhungen. Abgelehnt wurde, das seinerzeit von der PDS angestrebte Verfassungsgerichts-Urteil anzuzweifeln.

Axel Hildebrandt
Pressesprecher PDS-Berlin



Pflichtübung absolviert

Artikel von Holger Lunau in 'junge Welt' vom 08.12.2003

In der PDS gibt es gegen Sozialkahlschlagspolitik der eigenen Partei kaum noch Widerstand

Stefan Liebich bleibt Landeschef der Berliner PDS. Der 30jährige wurde am Samstag auf einem Parteitag mit 72 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Zudem beschlossen die Delegierten einen vom Landesvorstand vorgelegten Leitantrag. Danach bleibt für die PDS auch in den nächsten zwei Jahren die Sanierung des Landeshaushaltes wichtigste politische Aufgabe. Zudem will die PDS der »Agenda 2010« von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verstärkt Widerstand entgegensetzen. Die Rotstiftpolitik des SPD-PDS-Senats wurde dagegen kaum kritisiert. Die Einführung von Studiengebühren lehnt die Berliner PDS ab. Ein entsprechender Antrag wurde am Sonntag bei einer Gegenstimme angenommen. Ein Antrag des PDS-Bezirksverbandes Tempelhof-Schöneberg, die vom Senat beschlossene Kürzung des Blindengeldes im Parlament zu verhindern, fand dagegen am Sonntag keine Mehrheit. Allerdings fiel die Abstimmung knapp aus. Während 32 Delegierte gegen eine Kürzung des Blindengeldes waren, stimmten zwar 50 dafür, zugleich enthielten sich aber 28 Genossen der Stimme.

Vor der Wahl Liebichs, der auch PDS-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus ist, wurden Anträge abgeschmettert, den Landes- und Fraktionsvorsitz personell zu trennen. Kritiker monierten die Doppelfunktion, weil ein Landeschef so nicht gegen Fraktion und Senat aufmucken könne. Einen Gegenkandidaten hatte Liebich aber nicht.

Der Landeschef warb für die weitere Sanierung des Landeshaushalts. Zum »Sparkurs« unter Wahrung der sozialen Balance gebe es keine Alternative, weil er der Rückgewinnung politischer Handlungsspielräume diene, betonte Liebich. Von Protest sollte sich die Partei nicht schrecken lassen.

Unterstützung erhielt der Landeschef vom PDS-Parteivorsitzenden Lothar Bisky, der auch die Wiederwahl Liebichs wärmstens empfahl. Gerade weil die Stadt einen Symbolwert im Lande habe, werde er »nicht zulassen, daß die Berliner PDS und ihre Politik in der Partei zum Hauptfeind erklärt werden«, sagte Bisky.

Die Delegierten hatten in einer trägen Debatte nur wenig gegen den schwierigen Spagat der PDS einzuwenden, Sozialabbau zu betreiben und zugleich linke Positionen zu vertreten. Der Abgeordnete Michail Nelken kritisierte, die PDS habe »nicht nur überzogene Erwartungen enttäuscht«. Das Argument, ohne uns könne es nur schlimmer werden, reiche nicht als Politikbegründung.

Die Delegierten sprachen sich für eine »ergebnisoffene Diskussion über Steuerungsmodelle zur Hochschulfinanzierung« aus. Sollte sich dabei erweisen, daß mit dem ab 2005 geplanten Studienkontenmodell quasi durch die Hintertür doch Studiengebühren eingeführt werden, will die PDS erneut entscheiden.

Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) will Studienkonten einführen, um Langzeitstudenten zur Kasse zu bitten. Pro Semester müßten die Betroffenen 400 bis 500 Euro zahlen.

Quelle: www.jungewelt.de/2003/12-08/009.php


»Ohne rot zu werden«

Artikel von Till Meyer in 'junge Welt' vom 08.12.2003

Berlin: Studentenproteste gegen Millionenkürzungen auch bei Landes-PDS am Wochenende fortgesetzt

Rund 5 000 Studenten haben am Samstag in Berlin erneut gegen die Millionenkürzungen an den Hochschulen protestiert. Der knapp dreistündige Protest verlief nach Polizeiangaben friedlich.

Während der Abschlußkundgebung seilten sich zwei Studenten vom Dach der Humboldt-Universität ab. Sie trugen ein Plakat mit der Aufschrift »For Sale« (»Zum Verkauf»). Berlins Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) schloß erstmals eine Lockerung der Kürzungsvorgaben nicht mehr aus. Er könne dies zur Zeit zwar nicht zusagen, zunächst müsse man die Strukturplanung der Universitäten abwarten, sagte Flierl laut Berliner Zeitung. Das Parlament werde sich bis zur Ratifizierung der Hochschulverträge im Sommer oder Frühherbst nächsten Jahres überlegen müssen, ob es bei dem Budgetrahmen noch Korrekturen vornehmen wolle. Bislang hatte der Senator jegliche Änderung an der Streichquote in Höhe von 75 Millionen Euro abgelehnt.

Zeitweiser Tumult begleitete am Sonnabend den Auftritt von etwa 30 Studenten auf dem PDS-Landesparteitag im Berliner Hotel Maritim pro Arte. Während vor dem gut von der Polizei abgeschirmten Tagungsort einige hundert Studenten gegen die Mittelkürzungen des Senats bei den Hochschulen protestierten, warf die Studentenabordnung den Delegierten hemmungslosen Sozialabbau vor. »Die Partei der sozialen Gerechtigkeit verbiegt sich, ohne rot zu werden«, rief ein Student den Delegierten zu. Für helle Empörung im Saal sorgte schließlich die Behauptung der Studenten, die SPD-PDS-Politik von heute sei der erste Schritt hin zu einer Politik wie unter dem Diktator Pinochet in Chile.

Bereits am Freitag abend waren 1 200 Menschen mit einer »Betteldemonstration« durch das Villenviertel im Berliner Grunewald gezogen. Aufgerufen hatte ein breiter Trägerkreis verschiedenster sozialer Projekte, die von dem rigiden Streichkurs des Senats betroffen sind, darunter auch die streikenden Studenten. Mit Trillerpfeifen, Lampions und Fackeln zogen die Demonstranten in vier Zügen durch den noblen Vorort. Mit Rufen: »Hunger, Hunger« oder »Eine milde Gabe« und viel Lärm wollte man die Villenbewohner auf die Lage jener aufmerksam machen, denen der Senat die Mittel streicht. Immer wieder wurde an den Haustüren geklingelt und um Spenden gebeten. Aber nur mit mäßigem Erfolg, denn die meisten Villenbewohner hatten sich verbarrikadiert und ließen sich nicht sehen. Vor dem Haus eines der Hauptverantwortlichen des Berliner Bankenskandals, des CDU-Politikers Klaus Rüdiger Landowsky, skandierten die Nikoläuse minutenlang: »Klaus, komm raus. Wo sind die Millionen?«

Am gestrigen Sonntag gab es wieder einen Protestzug der Studierenden. Vom Französischen Dom zogen die Demonstranten zur Siegessäule, um dort Kerzen anzuzünden unter dem Motto: Bildung auf Sparflamme. Nach einer Umfrage des Berliner Tagesspiegel halten 83 Prozent der Bevölkerung Berlins die Proteste der Studierenden für gerechtfertigt.«

Quelle: www.jungewelt.de/2003/12-08/008.php