Ziegenhals, 18.4.2004, Gedenken an den 118. Geburtstag von Ernst Thälmann an der Gedenkstätte ZiegenhalsBilder

Gegen Geschichtslügen - Ernst Thälmann zum Gedenken

Rede von Egon Krenz zum 118. Geburtstag des KPD-Vorsitzenden und Abgeordneten des Deutschen Reichstages

Egon Krenz, ehemaliger Staatsratsvorsitzender der DDR, vor mehr als 500 Zuhörerinnen und Zuhörern vor dem abgeriegelten Areal der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte in Ziegenhals bei Berlin anläßlich der Wiederkehr von Thälmanns Geburtstag. Es war Krenz’ erster öffentlicher Auftritt seit seiner Haftentlassung im Dezember vergangenen Jahres.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde, verehrte Anwesende, als ich zu dieser Gedenkrede gebeten wurde, sagte ich ohne Zögern »Ja«. Schon in meiner frühen Kindheit hatte mich eine Biographie über Thälmann begeistert, die sein Weggefährte, der Hamburger Schriftsteller Willi Bredel, geschrieben hatte. 1951 erlebte ich in der damaligen »Pionierrepublik Ernst Thälmann« in der Berliner Wuhlheide Wilhelm Pieck, der uns Pionier-Teilnehmern an den III. Weltfestspielen der Jugend und Studenten berichtete, wie er mit Ernst Thälmann den Kampf gegen Krieg und Faschismus führte. 1952 war ich dabei, als die Pionierorganisation Thälmanns Namen erhielt. Ich leitete sie, als den Pionieren 1973 das Rote Halstuch verliehen wurde. Mein Leben in der DDR und meine Funktionen in der SED und der FDJ waren damit verbunden, das Thälmannsche Erbe wachzuhalten.

Gründe genug, dachte ich, um anläßlich des 118. Geburtstages des Vorsitzenden der KPD und Abgeordneten des Deutschen Reichstages an dieser Stelle Worte des Gedenkens zu sprechen.

Grundtorheit Antikommunismus

Mir kamen aber auch Zweifel. Sollte ich das Risiko eingehen, so fragte ich mich, diese Stätte der Erinnerung an Ernst Thälmann, die sich nach 1989 so vieler Angriffe zu erwehren hatte und immer noch hat, in weitere Schwierigkeiten zu bringen, auf die ihre Gegner nur warten, um sie unter fadenscheinigen Vorwänden zu beseitigen? Schließlich hatte ich gerade erleben müssen, daß dem Schriftsteller Hermann Kant von einem altbundesdeutschen Direktor eine Lesung in einer Sparkasse verwehrt wurde, nur weil ich zuhören wollte. Dies hat zwar nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun, viel aber mit Antikommunismus, der nach Worten von Thomas Mann schon im 20. Jahrhundert eine Grundtorheit war. Um wieviel mehr erst heute! Es wäre wohl zuviel an Rücksichtnahme auf Antikommunisten gewesen, wenn ich ihretwegen gekniffen hätte, hier zu sprechen. Thälmann zu ehren, das heißt für mich auch, seine Lebensart zu pflegen, sich gegen Lüge und Verleumdung zu wehren, bei Schwierigkeiten nicht klein beizugeben, seine Überzeugung zu verteidigen, auch dann, wenn das anderen nicht paßt.

Im Januar waren 60 Jahre vergangen, seit Ernst Thälmann sein letztes schriftliches Selbstzeugnis verfaßt hatte. Es war der Brief an einen Mithäftling, an einen jungen Kerkergenossen. Darin bezeichnet sich Thälmann, den wir alle als glühenden Internationalisten und guten Freund der Sowjetunion kennen, als »Blut vom Blute und Fleisch vom Fleische der deutschen Arbeiterklasse«. Und er erklärt: »Mein Volk, dem ich angehöre und das ich liebe, ist das deutsche Volk, und meine Nation, die ich mit großem Stolz verehre, ist die deutsche Nation, eine ritterliche, stolze und harte Nation.« Manchem mag das zu pathetisch sein. Ich stelle mir jedoch immer wieder die Frage: Woher nahm dieser Mann die Kraft, nach elf Jahren Einzelhaft, Folter und Demütigung in einer Zeit, da Deutschland den anderen Völkern Tod und Verderben brachte, die Ehre des deutschen Volkes dennoch hochzuhalten? Der Kommunist Thälmann war ein deutscher Patriot aus Überzeugung. Sein Patriotismus erwuchs aus seiner innigen Verbindung zu den werktätigen Menschen, aus dem Bewußtsein, daß es eine Alternative gibt zu dem Deutschland des Kapitals.

Ich erinnere bewußt daran, auch, weil in diesem Lande von der Regierungstribüne aus eine kleinmütige Diskussion über Patriotismus ausgelöst wurde. Wenn Bundestagspräsident Thierse dieser Tage meinte, daß deutsche Unternehmer, die statt in Deutschland im Ausland investieren, »vaterlandslose Gesellen« sind, ist dies allerdings bemerkenswert. In der Geschichte war es seit Marx und Engels doch immer so, daß die Bourgeoisie die Kommunisten beschimpfte, »vaterlandslose Gesellen« zu sein. Wenn nun ein führender Sozialdemokrat dies umdreht, kann ich mich dem anschließen, allerdings mit der Frage: Seit wann waren Kapitalisten je Patrioten? Sie treibt nicht der Patriotismus, sondern der Maximalprofit. Patriotismus rechnet sich nicht für sie. Ein Blick in die Geschichte bestätigt das. Schon im Ersten Weltkrieg war es doch so, daß deutsche Soldaten von Kugeln getroffen wurden, die die Firma Krupp in alle Welt geliefert hatte. Thälmanns Patriotismus war von anderer Art: seine Persönlichkeit – wie er schrieb – »zum Besten der deutschen Zukunft« einzusetzen.

Das war den Naziführern gut bekannt. Ihr Befehl, »Thälmann ist zu exekutieren«, zielte gerade darauf ab, ihm keine Möglichkeit zu geben, seine Autorität als populärster deutscher Arbeiterführer mit großer internationaler Erfahrung in das Nachkriegsdeutschland einzubringen. Den Gestaltern des neuen Deutschlands wurde so einer der wichtigsten Köpfe geraubt.

Wir leben jetzt in einem Lande, in dem die Mörder Ernst Thälmanns nie bestraft wurden. Sie waren gut bekannt. Sie lebten im Westen. Sie wurden zwar vor Gericht gestellt, doch, wie die meisten ihrer Gesinnungsgenossen freigesprochen. Angesichts der Rolle, die Thälmann in der Geschichte gespielt hat, angesichts der Tatsache, daß er im Kampf gegen die Naziherrschaft das Wertvollste gegeben hat, was der Mensch besitzt, sein Leben; und angesichts der Unwiderlegbarkeit, daß seine Mörder in der Altbundesrepublik verschont wurden, ist es mehr als schamlos, heute wieder Kübel von Verleumdungen über ihn zu gießen.

Um nicht mißverstanden zu werden: Ich wende mich nicht dagegen, daß Historiker forschen und dabei auch neue Fakten finden. Auch wenn diese uns unangenehm sein sollten, müssen wir sie sorgfältig prüfen, bevor wir urteilen. Die Geschichtswissenschaft kann ohne gründliche Detailforschung nicht auskommen. Das ist auch im Sinne Thälmanns, der seine Genossen immer wieder ermahnte, aus der Geschichte zu lernen. Wer jedoch versucht, längst bewiesene Tatsachen aus Gründen des Zeitgeistes in Frage zu stellen, kann als Historiker nicht ernst genommen werden. Thälmann war ein großer Sohn des deutschen Volkes, der zu Recht in einer Reihe mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht, mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht steht. Er war derjenige, der nach der Novemberrevolution von 1918 dem Volke klar sagte: Der Kaiser ging, aber die Generale blieben. Und er war es, der aus dieser Analyse Anfang der dreißiger Jahre weitsichtig formulierte: Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt Krieg. Schließlich ist unstreitig, daß Thälmann hier in Ziegenhals die Strategie der KPD für den Kampf gegen Krieg und Faschismus begründet hat.

Natürlich war damals nicht die Zeit der peniblen Protokollführung. Es war nicht die Zeit der wissenschaftlichen Begriffe. Es war die Zeit des Kampfes, und das unter den Bedingungen der beginnenden Illegalität.

Wir haben nie gesagt, daß Thälmann unfehlbar war. Irrtümer müssen stets im Kontext der Geschichte gesehen werden. Das Entscheidende bleibt jedoch, daß Thälmann und seine Genossen die ersten waren, die den Widerstand gegen das Hitlerregime organisierten und dafür zur Einheitsfront aller Hitlergegner aufriefen. Die Kommunisten der Thälmannschen Partei haben in diesem Kampf die größten Opfer gebracht. Diese Tatsache kann auch nicht dadurch relativiert werden, daß deutsche Kommunisten auch Opfer des Stalinschen Terrors wurden.

Verleumdeter Antifaschismus

Die Angriffe gegen Thälmann und gegen diese Gedenkstätte haben Methode. Sie hängen damit zusammen, daß in der alten Bundesrepublik die Geschichte des Dritten Reiches nie grundsätzlich aufgearbeitet wurde.

Es ist beängstigend, daß noch heute ein Jagdfliegergeschwarder der Bundeswehr den Namen des Nazi-Oberst Mölders trägt, während der Name Thälmann von vielen Straßen und öffentlichen Plätzen seit 1990 verschwunden ist.

Mölders war schon Jagdflieger der Legion Condor, die im Spanischen Bürgerkrieg auf seiten Francos Bomben auch auf das Thälmann-Bataillon warf, in dem deutsche und internationale Brigadisten für die Verteidigung der Spanischen Republik kämpften.

Während für Altbundeskanzler Kiesinger, der nicht nur NSDAP-Mitglied, sondern für die Nazis auch im Auslandspropagandadienst tätig war, dieser Tage von der Deutschen Post eine Sonderbriefmarke herausgegeben wird, scheint dies für Thälmann, dessen Todestag sich im August zum sechzigsten Mal jährt, nicht vorgesehen zu sein.

So sind die Preise im vereinigten Deutschland: Der eine wird geehrt, obwohl er Nazi war, der andere verdammt, weil er konsequenter Antifaschist war.

Durch Serien im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bereits angekündigt, begehen wir in diesem Jahr ein weiteres denkwürdiges Ereignis. Ich meine den Tag, an dem sich zum 60. Mal das Attentat auf Hitler jährt. Den mutigen Männern des 20. Juli gilt unser Respekt. Die KPD war die erste deutsche Partei, die schon 1944 diese Aktion als »verdienstvoll« würdigte. Die DDR ehrte alle, die in Opposition gegen den Faschismus standen: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Christen, bürgerliche Demokraten, Adlige. Umso größer ist der moralische Anspruch auf die Forderung an die Herrschenden und die Medien, Kommunisten nicht auszugrenzen. Nach dem 20. Juli 1944 fielen dem blutigen Terror des Hitlerfaschismus unzählige deutsche und ausländische Antifaschisten zum Opfer. Am 18. August 1944, knapp vier Wochen nach dem Attentat, wurde Ernst Thälmann im KZ Buchenwald ermordet. Weit über 1 000 Antifaschisten kamen in Zuchthäuser und Konzentrationslager. Freislers »Volksgerichtshof« sprach in dieser Zeit über 400 Todesurteile. Keiner der Richter und Staatsanwälte dieses mörderischen »Volksgerichtshofes« wurde in der Bundesrepublik jemals rechtskräftig verurteilt. Einer, der in der alten Bundesrepublik die Verantwortung für die Nichtverfolgung dieser Nazijuristen trug, tat sich später bei der Verfolgung von DDR-Hoheitsträgern besonders hervor. Dieser Vertreter der »Sonderstaatsanwaltschaft Berlin« hatte die Stirn, in seinem Plädoyer im Prozeß gegen mich zu formulieren: Der Angeklagte Krenz rede dauernd vom Faschismus, den es in Deutschland ja gar nicht gegeben habe. Ich, so behauptete er, würde vom Faschismus reden, um die Bezeichnung »Nationalsozialismus« zu meiden, was unliebsame Assoziationen mit dem »Realsozialismus in der DDR« hervorrufen würde. Dabei wußte in der DDR jedes Kind, daß der »Nationalsozialismus« weder Sozialismus noch national war.

Verlogene Terrorismusdebatte

Es handelt sich ja bei den Vergleichen der DDR mit dem Faschismus nicht nur um Geschichtsfälschung. Es ist zugleich eine schamlose Verharmlosung der Naziverbrechen und eine Dämonisierung der Geschichte der DDR. Es ist eine unglaubliche Verhöhnung der Opfer der Nazibarbarei, die als Volksverhetzung verboten gehört.

Kürzlich wurde am Gebäude des Ministeriums für Staatsicherheit eine »Gedenktafel« angebracht, die wohl eher den Namen »Diffamierungstafel« verdient. Bei aller notwendigen kritischen Bewertung unserer Geschichte – ich versuche aktiv daran teilzunehmen – ist es völlig unakzeptabel, die DDR und ihr Ministerium für Staatssicherheit in die Nähe von Terrorismus zu bringen. Die DDR hat weder Terrorismus gefördert noch geduldet.

Sie hat ihre Bevölkerung aktiv vor terroristischen Anschlägen geschützt. Die DDR hat keine »Killer« bestellt und keine Morde in Auftrag gegeben. Unsere Sicherheitsorgane haben im Gegenteil erfolgreich dazu beigetragen, daß die DDR der einzige deutsche Staat blieb, der an keinem Krieg beteiligt war. Schon dadurch unterscheiden sie sich von jenen Geheimdiensten und Regierungen, die Dokumente fälschten, um Kriege gegen andere Völker zu führen.

Als die Bundesrepublik 1977 Ziel von Terroranschlägen war, nutzte die DDR ihre guten Beziehungen zur VR Jemen und zu Somalia und die Anwesenheit unserer Sicherheitsorgane in diesen Ländern, um die höchsten Repräsentanten Jemens und Somalias zu bitten, alles zu tun, damit die Passagiere in der Lufthansa-Maschine nicht zu Schaden kommen. Bundeskanzler Schmidt hat damals in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag der DDR ausdrücklich für die Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung gedankt. Dies ist heute vergessen, weil es nicht der Diffamierung der DDR dienen kann.

Hätten jene, die für ihre Gehässigkeiten gegen die DDR im Sold des Staates stehen, diese Tafel angebracht, wäre dies kein Grund zum Wundern gewesen. Die »Geschichtsaufarbeitung« erfolgt hierzulande regierungsamtlich und durch Beschlüsse des Bundestages mit dem Ziel, die DDR und ihre antifaschistische Vergangenheit zu delegitimieren. Daß aber Menschen mit gestandener DDR-Biographie und selbst frühere Funktionsträger der DDR mitgewirkt haben, wundert mich schon. Es wundert mich vor allem, daß sie bei dieser unwürdigen Tafel nicht ihre Eigenwürde verletzt sehen.

Haben wir nicht genug Fakten aus der deutschen Nachkriegsgeschichte, um auch Fragen an die alte Bundesrepublik zu stellen: Ging die Ohrfeige der Beate Klarsfeld für Kiesinger nicht ins Prinzipielle? Hat man die Mörder von Philipp Müller, dem jungen Gewerkschafter, der 1952 bei einer Friedensdemonstration in Essen ermordet wurde, verfolgt oder verurteilt? Wie starb Benno Ohnesorg, der eher unpolitische Student in Westberlin und wer bestrafte die Verantwortlichen? Wer stellte Politiker und Richter vor Gericht, die verfassungswidrig die KPD und die FDJ verboten?

Wir erlebten, wie die Rosenbergs, Patrice Lumumba, Martin Luther King, Salvador Allende oder Bischof Romero ermordet wurden wie Ernst Thälmann. Aus keinem anderen Grund als Antikommunismus. Und der mörderische Vietnamfeldzug, die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht auf Kuba, alles aus denselben Gründen – Antikommunismus! Und immer wieder die alte Bundesrepublik, offen oder versteckt an der Seite der Invasoren und Diktatoren. Das ist meine Antwort an jene, die nicht müde werden, der DDR nur Unmenschlichkeit in die Wiege zu legen. Ich bin keineswegs unkritisch zu meiner Vergangenheit in der DDR oder wäge Unrecht gegen Unrecht ab. Doch eine gerechte und differenzierte Beurteilung der DDR wird nur möglich sein, wenn die gesamtdeutsche Nachkriegsgeschichte auf dem Prüfstand steht. Ich wende mich gegen jedes Pauschalurteil über die DDR – ob es nun positiv oder negativ ist.

»Sonderzone« Ostdeutschland

Ostdeutschland soll nun wieder »Zone« werden. So jedenfalls können wir es aus den Medien entnehmen. Dabei wird übersehen, daß dies schon Realität ist: Ostdeutschland ist besonderes Tarifgebiet. Ostdeutschland ist eine Sonderzone des Rechts. Für Ostdeutschland wurde das Rückwirkungsverbot aufgehoben. Eigens für Ostdeutschland wurde ein besonderes Rentenstrafrecht für »Staatsnahe« erfunden, es gibt keine Gleichheit der Deutschen, weder in der Beurteilung ihrer Geschichte noch bei ihren Lebensbedingungen. Die Arbeitslosigkeit und der Sozialabbau treffen hier die Bevölkerung am härtesten.

Nun stellt ein Nachrichtenmagazin die Fakten auf den Kopf: Ökonomisch, so behauptet der Autor, wurde der »Westen im Zuge der Vereinigung zur Kolonie des Ostens«.

Wer so schreibt, negiert Fakten und urteilt ideologisch. Was jetzt in Deutschland passiert, kann man nicht dem Erbe der DDR anlasten, sondern ist Resultat der gescheiterten Vereinigungspolitik. Wenn über die hohe Transfersumme gesprochen wird, sind mir sehr wohl auch die Anstrengungen der Westdeutschen bewußt, die dahinter stehen. Doch, es darf nicht vergessen werden, daß die Treuhand den Osten Deutschlands deindustrialisiert hat. Der dadurch verschuldete Rückgang der Produktion ist von Einmaligkeit in der deutschen Geschichte. Nicht einmal infolge der beiden Weltkriege hat es einen solchen Rückgang der Industrieproduktion gegeben. 85 Prozent des DDR-Volksvermögens gelangte in die Hände des westdeutschen Kapitals. Und dies oftmals mit krimineller Energie. Wie die Preise dabei waren, erleben wir ja noch in der Gegenwart, wenn wir von Abfindungssummen für Manager oder Spesen für Bankdirektoren hören.

Bei der Vereinigung betrug das Volksvermögen der DDR 1,7 Billionen Mark der DDR. Nicht darin enthalten waren der Wert von vier Millionen Hektar Grund und Boden und der Wert von öffentlichen Gebäuden im In- und Ausland. Es bleibt mir ein Rätsel, wie aus dem Verkauf einer ganzen Volkswirtschaft nichts übriggeblieben sein soll als Schulden? Wer meint, der »Westen sei die Kolonie des Ostens«, sollte auch nicht vergessen, daß die DDR zu 98 Prozent die deutschen Reparationen an die Siegermächte leistete. Dafür hat sie von Bonn nie einen Ausgleich erhalten. Schließlich haben die DDR-Bürger leider auch die von ihnen nicht verursachte hohe Inlandsverschuldung der Bundesrepublik geerbt. Was jetzt in Politik und Medien geschieht, ist ein großangelegter Versuch, Ostdeutsche gegen Westdeutsche und Westdeutsche gegen Ostdeutsche aufzuhetzen. So einigt man Deutschland nie!

Thälmanns Geburtstag in diesem Jahr ist ein besonders Datum. Vor 60 Jahren beging er seinen 58. Geburtstag. Es war bereits im zwölften Haftjahr. Und es sollte sein letzter sein. Die Nazis dachten sich für seine Familie eine besondere Grausamkeit aus: Auf dem Wege zum Besuch ihres Vaters wurde Irma Thälmann verhaftet. Kurze Zeit danach auch Rosa Thälmann. Sie wurden 1945 von sowjetischen Truppen befreit, als Thälmann bereits ermordet war. Wir ehren Thälmann, indem wir nach seinen Worten handeln: »Treu und fest, stark im Charakter und siegesbewußt im Handeln, so und nur so werden wir unser Schicksal meistern.«

Quelle: www.jungewelt.de