Kiel, 7.7.2004, Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Länder anläßlich der InnenministerkonferenzBilder

Hier geblieben! Integrieren!

Aufruf des Bündnisses Bleiberecht Schleswig-Holstein zur Demonstration gegen die Innenministerkonferenz in Kiel am 7. Juli 2004

Demonstration am Mittwoch, den 7.7.2004, ab 13 Uhr, Dreiecksplatz in Kiel:

Wer lange hier lebt, soll bleiben dürfen!

Zur Innenministerkonferenz in Kiel: Forderung nach Bleiberecht für Geduldete.


226.000 Menschen leben z.T. seit vielen Jahren in Deutschland mit dem unsicheren ausländerrechtlichen Status einer „Duldung“. Als Asylberechtigte oder Flüchtlinge nicht anerkannt, leben sie in einer rechtlichen Grauzone: prinzipiell ausreisepflichtig, ohne Arbeitserlaubnis, mit eingeschränkten Sachleistungen der öffentlichen Hand abgespeist, regelmäßig in Behelfsunterkünften gettoisiert, im zugewiesenen Kreis eingepfercht und - im Falle von Jugendlichen besonders problematisch - ohne Chance auf Ausbildung. In dieser Situation verbringen viele hier Jahre ihres Lebens, sind z.T. sogar hier geboren.

Und dennoch: Viele haben hier neue Wurzeln geschlagen, Kontakte geknüpft, Freunde gewonnen. Gerade den Kindern und Jugendlichen ist dieses Land ihre einzige Heimat geworden.

Am 7. und 8. Juli tagen die Innenminister aus Bund und Ländern unter schleswigholsteinischem Vorsitz in Kiel. Zu diesem Anlass fordern Bleiberechtsbündnisse auf Bundes- und Länderebene die Innenministerkonferenz auf, eine großzügige Bleiberechtregelung für Geduldete und Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus zu beschließen.

Nach Verlauten wird die Innenministerkonferenz über solche Regelungen zugunsten von bisher geduldeten AfghanInnen und ethnischen Minderheiten aus dem Kosovo beraten. Bleiberecht soll demnach allerdings nur erhalten, wer mindestens sechs Jahre legal hier lebt, über ausreichenden Wohnraum und dauerhaft über eigenes Einkommen verfügt, sowie - wenn über 65 Jahre alt - hier daueraufenthaltsberechtigte Angehörige hat, die den Lebensunterhalt tragen.

Den Übrigen droht demnach die Rückkehr in die „Heimat“: Zum Beispiel nach Afghanistan, wo die Gewalt und die Ohnmacht alliierter Militärs und der Polizei täglich wachsen und wo es außer dem Drogenhandel keine intakten Ökonomien gibt. Oder in den Irak, wo noch immer täglich etwa 40 Attentate auf Einheimische, VertreterInnen ausländischer Institutionen und Militärs stattfinden und weder Strom- noch Wasserversorgung funktionieren. Ins Kosovo, wo Propagandisten regelmäßig Mehr- und Minderheiten aufeinander hetzen und die wirtschaftliche Misere viele Menschen erneut in die Flucht schlägt. Oder auch nach Tschetschenien, wo mit dem russischen Militär das tägliche Grauen von Vergewaltigung, Folter und Kriegsgewalt weiterregiert.

Das Bleiberechtsbündnis Schleswig-Holstein hält die von den Innenministern erwogenen eingeschränkten und nur auf bestimmte Gruppen bezogenen Bleiberechtsregelungen für nicht ausreichend, weil die Mehrheit der im Lande lebenden Geduldeten und bleiberechtsungesicherten Menschen ausgeschlossen würden.

Stattdessen werden die Innenminister in Übereinstimmung mit den bundesweit von Prominenten, Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden, Menschenrechts- und Migrationsfachorganisationen erhobenen Forderungen aufgefordert, eine Bleiberechtsregelung zu beschließen, die
  • für Menschen, die sich seit mindestens fünf Jahren - im Falle von Familien mit Kindern seit drei Jahren - in Deutschland aufhalten, ein Bleiberecht einräumt.
  • unbegleiteten Kindern und Jugendlichen nach zwei Jahren Bleiberecht gewährt.
  • von Kriegsgräuel und Verfolgungsgewalt traumatisierten Flüchtlingen und Opfern von in Deutschland erlittener rassistischer Gewalt regelmäßig das Recht zu Bleiben einräumt.
Ein so gesicherter Aufenthalt sollte einher gehen mit der Freizügigkeit der Wohnsitznahme, dem unbeschränkten Arbeitsmarktzugang, dem Recht auf Familiennachzug, dem Anspruch auf Kinder- und Erziehungsgeld, im Bedarfsfall dem Anspruch auf Sozialhilfe sowie dem Anspruch auf Sprach- und Ausbildungsförderung. Die Innenminister aus Bund und Ländern werden aufgefordert, anlässlich ihrer Kieler Konferenz die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass wer bleiben will, auch bleiben kann!

Das „Bündnis Bleiberecht Schleswig-Holstein“, dem kirchliche Verbände, Gewerkschaften, Migrationsfachstellen, Initiativen und Organisationen aus Schleswig-Holstein angehören, ruft auf zur Teilnahme an der Demonstration aus Anlass der Innenministerkonferenz am 7. Juli in Kiel: Auftaktkundgebung um 13°° Uhr am Dreiecksplatz.

gez. Bündnis Bleiberecht Schleswig-Holstein, Juli 2004

Mehr Informationen im Internet: www.hiergeblieben.info
Kontaktadresse:
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Oldenburger Str. 25
D-24143 Kiel
tel. (0431) 735 000
fax. (0431) 736 077
email: office@frsh.de

Das Bündnis „Bleiberecht Schleswig-Holstein“ wird u.a. getragen von:
  • Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein e.V.
  • Arbeiterwohlfahrt Schleswig-Holstein e.V.
  • Beauftragter für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen beim Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages
  • Caritasverband für Schleswig-Holstein e.V.
  • Diakonisches Werk Schleswig-Holstein Landesverband Innere Mission e.V.
  • Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche
  • Die Flüchtlingsarbeit in den Kirchenkreisen Stormarn und Segeberg
  • Flüchtlingsforum Lübeck e.V.
  • Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
  • Fremde brauchen Freunde Husum
  • Für Integration und Toleranz, FIT, Oldesloe
  • Gesellschaft für politische Bildung e.V. (Gegenwind-Redaktion)
  • Grenzgänger e.V., Neumünster
  • Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft LV Schleswig-Holstein
  • Interkulturelles Kontaktcafé Abraham, Kiel
  • Internationale Gruppe „Mondfrauen“, Norderstedt
  • Landesarbeitsgemeinschaft Autonome Frauenhäuser Schleswig-Holstein
  • Migrationssozialberatung der Diakonie in Norderstedt
  • Norderstedter Förderverein Flüchtlingshilfe e.V.
  • Runder Tisch für Integration der Stadt Neumünster
  • Support Westerland
  • Terre des Hommes Arbeitsgruppen Lübeck und Kiel
  • Zentrale Beratungs- und Betreuungsstelle für Ausländerinnen und Ausländer in Schleswig-Holstein e.V. (ZBBS)

Gleiche Rechte für alle! Stoppt alle Abschiebungen!

Aufruf zur Demonstration gegen die Innenministerkonferenz in Kiel am 7. Juli 2004

Wir rufen alle fortschrittlichen Kräfte dazu auf, am 7. Juli nach Kiel zu kommen und sich unserem Widerstand gegen eine Politik anzuschließen, die nichts anderes ist, als ein Angriff auf unsere Rechte!

Kundgebung und Demonstration: 7.Juli 04, ab 13.00 Uhr am Dreiecksplatz in Kiel

Vom 7. bis 8. Juli 2004 treffen sich die Innenminister der deutschen Bundesländer in Kiel. Es ist ein Treffen der Leute, die unsere Rechte zerschlagen und die versuchen, unser Streben nach Gerechtigkeit und Würde zu ersticken. Es ist ein Treffen der Verantwortlichen für polizeiliche Repression, Überwachung und Kontrolle der Individuen. Noch mehr als für andere Menschen werden die Dinge, über die bei der deutschen Innenministerkonferenz diskutiert wird, verhängnisvolle Auswirkungen für Flüchtlinge und MigrantInnen haben. Sie werden sich über die Beschleunigung von Abschiebungen den Kopf zerbrechen. Darüber, wie sie die Kollaboration mit den Botschaften der Heimatländer von Flüchtlingen verbessern können, mit dem Ziel "Heimreisepapiere" zu beschaffen. Darüber, wie sie "ausreiseunwillige" Flüchtlinge zwingen können, Deutschland zu verlassen. Darüber, wie sie es für FlüchtlingsAktivistInnen unmöglich machen können Abschiebungen an Flughäfen zu stoppen. Sie werden über sogenannte Anti-Terror-Gesetze sprechen, die Flüchtlinge und MigrantInnen kriminalisieren. Sie werden über Abschiebe-Lager debattieren, über europaweite Verfolgung von Papierlosen, über DatenAustausch …

Es ist klar: Die Maßnahmen, über die bei der deutschen Innenministerkonferenz diskutiert wird, sind nichts anderes als Angriffe auf das Leben und die Freiheit von Flüchtlingen, MigrantInnen und eines jeden Menschen, der/die nicht zu den GewinnerInnen des kapitalistischen Systems in Deutschland gehört! Alle Gruppen von Flüchtlingen werden durch die Abschiebe-Politik der Innenminister terrorisiert. Hier einige Beispiele:

Flüchtlinge aus Togo

Die TogoerInnen leben seit 36 Jahren unter dem diktatorischen Regime von Präsident Eyadema; Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen haben viele Menschen ins Exil gezwungen. Dennoch weisen deutsche Behörden und Gerichte, in völliger Missachtung der soziopolitischen Lage in Togo, fast alle Asylanträge togoischer Flüchtlinge zurück. Viele wurden bereits abgeschoben, andere sehen sich mit massiven Abschiebe-Drohungen konfrontiert. Gleichzeitig halten Frankreich und Deutschland enge wirtschaftliche und politische Beziehungen mit dem togoischen Regime. Vom 19. bis 22. Juni findet in Berlin ein Hungerstreik gegen Abschiebungen nach Togo und Kamerun statt.

Roma aus Ex-Jugoslawien

Während der letzten Jahre verließen viele Roma die Länder Südost-Europas aufgrund von Diskriminierung und "Ethnischen Säuberungen". Als Folge des NATO-Krieges gegen Jugoslawien mussten die meisten Ro-ma, die im Kosovo gelebt hatten, fliehen- so wie alle nicht-albanischen Minderheiten. Nun, da die Kriege im früheren Jugoslawien offiziell beendet wurden, schicken sich die deutschen Behörden an, alle Flüchtlinge aus diesen Ländern möglichst schnell loszuwerden. Die Roma - darunter viele Kinder und Enkel von Opfern der Nazi-Vernichtungspolitik - gehören zu den Gruppen, denen Massenabschiebung droht.

Flüchtlinge aus Afghanistan

Ca. 30.000 Flüchtlinge aus Afghanistan leben ohne gesichertes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Schon bei der letzten Innenministerkonferenz im November kündigten die Innenminister einiger Bundesländer an, ab dem Frühjahr 2004 Flüchtlinge aus Afghanistan abschieben zu wollen, obwohl selbst Innenminister Schily das Land für ein Krisen- und Kriegsgebiet hält. Dennoch ist damit zu rechnen, daß bei der IMK Absprachen über systematische Abschiebungen nach Afghanistan getroffen werden.

Flüchtlinge aus Kamerun

Unter dem Regime von Präsident Paul Biya wurden viele AktivistInnen der politischen Opposition zu politischen Gefangenen gemacht. Es gibt belegte Fälle von Folter und Tod im Knast. Vor allem in Süd-Kamerun ist die Lage äußerst instabil. Dennoch schiebt Deutschland, zweitwichtigster Kreditgeber Kameruns, weiter Flüchtlinge in dieses Land ab.

Flüchtlinge aus dem Iran

Wohlbekannt sind die massiven Menschenrechtsverletzungen des Mullah-Regimes im Iran. Oftmals haben sich iranische Studierende, Frauen und ArbeiterInnen gegen das Regime erhoben, ebenso oft hat das Regime darauf mit Massenverhaftungen, Folter und Hinrichtungen reagiert. Seit Jahren gehört Deutschland zu den wichtigsten Wirtschaftspartnern des Iran. Iranische Flüchtlinge sind Opfer dieser Partnerschaft: Viele wurden abgeschoben, der "Reformprozeß" im Iran wird als zynische Rechtfertigung für diese Abschiebepolitik benutzt.

Flüchtlinge aus dem Kongo

Seit Jahrzehnten wird der Kongo von brutaler Diktatur erschüttert und von einem Krieg, der bereits über eine Million Menschen das Leben gekostet hat. Lokale Warlords sowie europäische und amerikanische Konzerne machen gute Geschäfte mit diesem Krieg, indem sie die reichen Rohstoffvorkommen, wie Coltan, Diamanten und Erdöl ausbeuten. Obwohl die Lage im Kongo nach wie vor weit weg ist von einer friedlichen Lösung, gibt es seitens der deutschen Behörden bislang keinen Abschiebestopp für kongolesische Flüchtlinge. Sie versucht sogar, mit Charterflügen über Holland, Sammelabschiebungen von KongolesInnen, gemeinsam mit anderen afrikanischen Flüchtlingen, durchzuführen.

Repression, rassistische Verfolgung und die antisoziale Veränderung der deutschen Gesellschaft Abschiebe-Politik, polizeiliche Repression und die Schaffung immer härterer Gesetze gehen einher mit einem Prozess der Zerschlagung von menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rechten auf allen Ebenen der Gesellschaft. Mit zunehmender Geschwindigkeit durchläuft die deutsche Gesellschaft einen grundlegenden sozialen und wirtschaftlichen Wandel, der die Rechte zerstört, die wir durch viele Kämpfe erreicht haben: Gewerkschaftsrechte, die Rechte von ArbeiterInnen und Erwerbslosen, das Recht auf kostenlose Bildung, das Recht auf angemessene medizinische Versorgung, und - nicht zuletzt - die Rechte von Asylsuchenden und anderen Flüchtlingen. Das bedeutet einen drastischen Anstieg von Armut, was eine destruktive Überlebensangst bei großen Teilen der Bevölkerung schafft. Gleichzeitig profitieren fundamentalistische und rechte Strömungen in der Gesellschaft von der Angst der Leute und von dem Verlust sozialer Sicherheit, indem sie Intoleranz, härtere Gesetze und Repression predigen. Diejenigen in der Gesellschaft, die am wenigsten Rechte und am wenigsten Schutz vor den Regierungen haben, insbesondere Flüchtlinge, werden als angebliche "Gefahr für die öffentliche Sicherheit" zur Zielscheibe; gerade sie sind Opfer der Propaganda und der Angriffe seitens der Regierungen und der Rechten. Die "Sicherheit", über die die Innenminister sprechen, ist die Sicherheit der Banken, der großen Konzerne, der Reichen und Mächtigen. Die Leidtragenden sind Studierende, Frauen, alte Menschen, Gewerkschaften, Arbeiter-Innen, Erwerbslose und ganz besonders Flüchtlinge und MigrantInnen. Als Flüchtlinge und MigrantInnen, die bereits jahrzehntelange Erfahrungen mit genau dieser Politik haben, sind wir sehr besorgt über den Weg, den Europa und insbesondere Deutschland einschlägt.

Schließlich war und ist es eben diese Politik der Zerschlagung unserer Rechte bei gleichzeitiger Erhöhung von Polizei- und Militärausgaben, von Armut und Ungerechtigkeit, die Millionen von uns auf der ganzen Welt zur Flucht aus unseren Ländern gezwungen hat, auf der Suche nach Gerechtigkeit und einer Möglichkeit, unsere Familien zu ernähren. Wir Flüchtlinge, MigrantInnen und unsere deutschen UnterstützerInnen klagen die ungerechte und unmenschliche Politik an, die von den Innenministern gegen die Menschen in Deutsch-land und insbesondere gegen Flüchtlinge und MigrantInnen verübt wird. Trotz aller Unterschiedlichkeit unserer Erfahrungen aus vielen Ländern und persönlichen, kulturellen und religiösen Hintergründen sind wir vereint im Willen, gegen diese Ungerechtigkeit zu kämpfen! Wir und unsere Familien sind seit Jahrzehnten Opfer dieser Politik; wir wurden gezwungen alles aufzugeben, um zu überleben und eine Zukunft zu haben.

Nun werden wir erneut konfrontiert mit einer Politik der systematischen Zerstörung unserer sozialen und politischen Rechte, mit einer Politik des gesellschaftlichen Ausschlusses und der Beschränkung unserer Bewegungsfreiheit - zum Beispiel durch die Residenzpflicht (dt.Gesetz, das die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden auf einen Landkreis beschränkt.) - und mit einer Politik, die uns - zum Beispiel mit Hilfe von Ausreiselagern und Abschiebegefängnissen - kriminalisiert und uns dorthin abschiebt, von wo wir geflohen sind.

Quelle: www.altemeierei.de