Köln, 4.11.2007 - Kundgebung 'Initiative türkischer Studenten und Akademiker gegen Terror'Bilder

Die Grauen Wölfe im Aufwind

Was steht hinter der Mobilmachung in Deutschland - Kemal Bozay in 'Antifaschistische Nachrichten', Ausgabe 23/2007

Die türkisch-rechtsnationalistischen “Grauen Wölfe” machen wieder von sich reden. Spätestens seit den jüngsten Bestrebungen der türkischen Regierung in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak militärisch einzumarschieren, um gegen die PKK vorzugehen, treten auch rechtsextreme türkische Vereinigungen in bundesdeutschen Städten vermehrt öffentlich auf und machen mobil. Die Welle der Gewalt hat mit den konfliktträchtigen Aktionen vor kurdischen und türkischen Einrichtungen in Berlin, Köln, Duisburg usw. eine neue Dimension erreicht.

Doch der Aufschwung der “Grauen Wölfe”, die in der Türkei unter dem Namen “Nationalistische Bewegungspartei” (MHP) und „Große Einheitspartei“ (BBP) bekannt sind, beschränkt sich nicht allein darauf. Zumal der jüngste Wahlerfolg der ultra-nationalistischen MHP in der Türkei eine neue Dynamik erzeugt hat. Profitiert haben die „Grauen Wölfe“ von der seitens der Regierung wie der kemalistischen Elite hochstilisierten Nationalismuswelle, die sie zur drittstärksten Kraft avancieren ließ.

Der Einfluss türkisch-rechtsextremer Organisationen sowie ihrer Netzwerke ist seit Mitte der 1990er auch in Deutschland enorm gestiegen. Mehr als 350 Vereine und Gemeinden sind entstanden, die überall als Selbsthilfestrukturen Einfluss auf das soziale Leben von Türken haben.

Der Einfluss der ethnisch-rechtsextremen Bewegungen kann nicht allein mit bundesdeutschen Rahmenbedingungen erklärt werden. Diese Strukturen sind zugleich von einer politischen Linie oder Ideologie geprägt, die im Mutterland bestimmt wird. Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass die sozialen und politischen Entwicklungen in der Türkei die politische Orientierung, die Haltung und die Ausrichtung der türkischen Bevölkerung in Deutschland stark beeinflussen. Herausgebildet haben sich hier drei rechtsnationalistische Dachverbände: Türk Federasyon (Föderation der Idealistenvereine in Europa, ADÜDTF), ATIB (Türkisch-Islamische Union Europa) und die ANF (Föderation der Weltordnung in Europa). Alle diese Verbände bekennen sich heute zu den Wurzeln des Grauen Wolfes.

Mit erheblicher Unterstützung Nazi-Deutschlands florierte in der Geschichte Ende der 1930er Jahre der Pan-Turanismus (Vorreiter der türkischen Rechtsextremen) erneut. Nazideutschland versuchte damals die Türkei an sich zu binden und nutzte dabei die panturanistische Bewegung. Zeitschriften wie Bozkurt (Grauer Wolf), die von Nazi-Deutschland finanziert wurde, unterstützten den Panturanismus. Als Gegenleistung sollten die Turanisten die Türkei an der Seite des deutschen Faschismus in den Zweiten Weltkrieg führen. Zahlreiche Turanisten kämpften auf der Seite Deutschlands in Jugoslawien. Anfang der 1960er Jahre begann ein neuer Aufschwung, und es wurden im ganzen Land "Antikommunistische Kampfvereine" als Vorläufer der MHP gegründet. Oberst Alparslan Türkeş, der inzwischen verstorbene Führer der türkischen Neofaschisten, beteiligte sich mit weiteren zehn Offizieren zunächst an der ÇKMP (“Republikanisch-nationale Bauernpartei”), die 1969 in MHP umbenannt wurde. 1968 wurden die ersten rechtsextremen Kommandolager in der Türkei gegründet, in denen ehemalige Offiziere Jugendliche militärisch und ideologisch ausbildeten.

Der „Graue Wolf“ stützt sich dabei auf einen Mythos der Göktürken, in der dieser als legendäres Tier angesehen wird, das die türkischen Stämme vor der Unterjochung des Feindes gerettet und es von China nach Kleinasien geführt habe. Für den gegenwärtigen türkischen Rechtsextremismus symbolisiert der „Graue Wolf“ die Militanz einer politischen Bewegung.

Die rechtsextreme Bewegung in der Türkei stützt sich ideologisch auf ein Konglomerat von verschiedenen nationalistischen und islamistischen Diskursen: auf den idealistischen Nationalismus (Ülkücülük), der einen ausgeprägten „Rassismus“ gegenüber allen nicht-türkischen Bevölkerungsteilen, insbesondere gegen die Minoritäten im eigenen Land beinhaltet; die antidemokratische Grundhaltung, die in eine vielfältige Propaganda gegen Linke, Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschaften, aber auch gegen demokratische Institutionen in den Mittelpunkt stellt; auf den Islam in seiner Rolle für die Konstituierung des so genannten Türkentums; auf die Türkisch-Islamische Synthese (Türk Islam Sentezi) als Gegenpol zum Einfluss linker Ideen, welche die Vorstellung von der Untrennbarkeit von türkisch-nationalen und islamischen Bestandteilen als Kernelement sieht; auf die Neun-Strahlen Doktrin des MHP-Führers Türkes, der damit den Weg zur nationalistischen Türkei proklamierte und die Autorität des Führers festigte, und nicht zuletzt auf die in Deutschland propagierte Kernideologie des Europäischen Türkentums (Avrupa Türkcülügü), die als Sammelbegriff für die türkisch-nationalistische Identität in Europa benutzt wird. Damit werden die Migranten angesprochen, die zwar ihren Lebensmittelpunkt in Europa haben, aber dennoch ihre türkisch-nationalistische Identität weiter verbreiten und für türkisch-nationalistische Interessen mobil gemacht werden sollen. Politisch sollen dadurch die Bindungen an die nationalen Werte, Tugenden und Institutionen der Türkei gestärkt und in den europäischen Auf­nahme­ländern das Mobilisierungspotenzial für eine starke türkisch-nationale Lobby stabilisiert werden.

Droht ein türkisch-kurdischer Konflikt?

Das verstärkte Auftreten nationalistisch-rechtsextremer und ultra-kemalistischer Bewegungen sowohl in der Türkei als auch in Deutschland korreliert zweifelsohne auch mit der Entwicklung des Konflikts um die Kurdenfrage. So hat das Kurdenproblem in der Türkei nach den 90er Jahren nahezu eine nationalistische „Ekstase“ hervorgerufen. Dabei geht es nicht nur um die Frage der „Kriegshysterie“ gegenüber dem so genannten Separatismus, sondern auch um die Neubelebung einer chronischen Existenzangst des türkischen Staates bzw. des türkischen Nationalismus. Die Realität, dass im Nachbarland Irak kurdisch-autonome Strukturen aufgebaut werden und im türkischen Parlament die pro-kurdische DTP (Demokratische Gesellschaftspartei) eine Fraktionsstärke hat, nimmt die Türkei als Bedrohung war. Vor allem die von Tayyip Erdogan, dem islamischen Regierungspräsidenten der AKP angestrebte EU-Mitgliedschaft der Türkei wird sowohl von den Ultranationalisten, der kemalistischen Elite als auch den Linksnationalisten als Vaterlandsverrat angeprangert. Diese Angst hat vor allem ihre Wurzeln in der Vorphase der Republikgründung. Durch die gesamte Geschichte hindurch wurde immer wieder das Syndrom der Angst vor der Separatismusgefahr reproduziert, welche heute das Rückgrat des türkischen Staatsnationalismus bildet.

Gerade durch den aktuellen Konfliktimport der politischen Auseinandersetzungen um die kurdische Frage in der Türkei und im Nordirak entsteht einerseits für türkisch-rechtsextreme Organisationen und andererseits für ultra-kemalistische Einrichtungen ein neuer Aufwind für die Mobilisierung des „Europäischen Türkentums“. Nun wird in ganz Deutschland zu künstlichen Demonstrationen aufgerufen. Nach türkischem Vorbild ziehen Demonstranten durch bundesdeutsche Städte, verdammen die PKK und auch die Kurden. In manchen Großstädten wird sogar zu Hetzjagd gegen Kurden und ihre Einrichtungen aufgerufen und somit ein kurdisch-türkischer Konflikt konstruiert. Den Grundbaustein für diese Mobilisierung bilden dabei zweifelsfrei die politischen Gegebenheiten im so genannten Heimatland im Prisma der politischen Propaganda aus der Türkei und der Berichterstattung der türkischen Medien und Fernsehkanäle, die tagtäglich über Satellit zu empfangen sind.

Wäre die Interessenlage der Menschen mit Migrationshintergrund aus der Türkei und anderswo hier in Deutschland der Maßstab, dann würde sehr rasch die Solidarität an die Stelle der Konfrontation treten.