Ostermarsch Frankfurt, 1.4.2002 - 'Gemeinsam gegen Krieg und Terror'Bilder

Gemeinsam gegen Krieg
und Terror

Aufruf des Ostermarschbüros Frankfurt

Erstmals seit Ende des zweiten Weltkrieges ist Deutschland wieder weltweit im Kriegseinsatz. Militärische Interventionen und Krieg sind zu einem normalen Bestandteil deutscher Politik geworden. Damit verabschiedet sich die Berliner Republik vom antifaschistischen, antimilitaristischen und demokratischen Verfassungsauftrag. Die furchtbaren Erfahrungen unseres Landes mit Krieg und Faschismus werden verdrängt.

Deutschland soll wieder als "normale" Militärmacht dabei sein, wenn es um geopolitische Interessen, um Militärstützpunkte, um die Kontrolle der Bodenschätze, der Energiequellen, um Erdöl und Erdgas geht.

Im "Kampf gegen den Terror" wurde im Deutschen Bundestag eine umfassende Kriegsermächtigung mit einer Laufzeit von einem Jahr und einem sehr weit reichenden Einsatzraum beschlossen. US-Präsident Bush hat inzwischen erklärt, den für lange Zeit geplanten und notfalls mit allen Arten von Waffen zu führenden Krieg über Afghanistan hinaus auch in andere Länder tragen zu wollen. Genannt wurden Iran, Irak und Nordkorea, die laut Bush eine "Achse des Bösen" darstellen. Einer ganzen Region drohen Tod, Elend und Zerstörung.

Wir sagen: Soldaten der Bundeswehr haben dabei nichts zu suchen. Wir fordern das sofortige Ende des Krieges in Afghanistan und die Absage an alle weiteren Militäreinsätze, die im Zeichen des "Kampfes gegen den internationalen Terrorismus" geplant sind. Unser NEIN zum Krieg ohne Wenn und Aber ist eine grundsätzliche Absage an den Krieg, aus humanitären, moralischen, politischen und auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Krieg selbst ist Terror und schon deshalb kein geeignetes Mittel zur Terrorbekämpfung. Krieg nimmt den Tod und das Leid unschuldiger Menschen in Kauf und erzeugt neuen Hass und Gegengewalt. Die andere Welt, die wir anstreben, braucht soziale Gerechtigkeit, Solidarität, die Beseitigung der Folgen der neoliberalen Globalisierung und Abrüstung. Stattdessen wird aufgerüstet wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Wo vorher bei den sozialen Aufgaben um jede Mark und jeden Euro geknausert wurde, sind plötzlich Milliarden für den Militär-Airbus, für Transport-Hubschrauber, Kampfhubschrauber und Eurofighter und für neue Kriege da. Die längerfristig geplanten 213 Rüstungsprojekte sollen bis zu 120 Milliarden Euro kosten. Die drängenden Aufgaben bei Bildung, Erziehung, Wohnungsbau und kommunaler Infrastruktur bleiben daher ungelöst.

Die Heuchelei, dies alles diene dem Frieden und der Terrorismusbekämpfung wird immer unerträglicher. Zugleich wächst die Diskrepanz zwischen Volkswillen und offiziellem Handeln. Alternativen zum Regierungskurs sind gefragt.

Friedenspolitik, die diesen Namen verdient, bedeutet Abrüstung, nichtmilitärische Konfliktlösung und sie erfordert internationale Solidarität. Wir lehnen den Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee und die Beschaffung neuer Waffen ab. Wir verlangen die Auflösung der so genannten Einsatzkräfte ("Krisenreaktionskräfte"), die Reduzierung des Rüstungshaushaltes und ein striktes Verbot des Waffenexports.

Wir fordern den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland. Wir setzen uns dafür ein, die durch Abrüstung eingesparten Gelder in zivile Projekte zu investieren. Wir verlangen schließlich die Rücknahme der sog. Antiterrorgesetze, weil Frieden und Sicherheit nicht durch Abbau demokratischer Rechte zu gewährleisten sind.

Wir wissen uns mit der israelischen und palästinensischen Friedensbewegung einig und fordern mit ihnen, die Spirale der Gewalt zu beenden. Das bedeutet Schluss mit dem völkerrechtswidrigen Vorgehen der israelischen Regierung und erfordert ausschließlich zivile Mechanismen zur Konfliktregulierung.

Nach dem Abschied der Mehrheit der Regierungsparteien von einer friedensorientierten Politik und der Friedensbewegung gilt es umso mehr, die außerparlamentarischen Kräfte zu stärken. Durch öffentlichen Druck wachsen die Chancen für einen Politikwechsel.

Eine Welt ohne Rüstung und Krieg ist möglich


Verantwortung friedens-
politisch sichtbar machen

Rede von Horst-Eberhard Richter, 1.4.2002, Frankfurt

Liebe Freundinnen und Freunde,
wer sind wir, die wir uns hier zu den Ostermärschen 2002 getroffen haben? Weil wir dagegen protestieren, dass deutsche Soldaten in diesem Krieg mitschießen, heißt es, es fehle uns an Verantwortungsbewusstsein. Außerdem seien wir unsolidarisch, weil wir unserer westlichen Führungsmacht die schuldige Solidarität verweigern wollten. Verantwortungslos und unsolidarisch, gibt es noch etwas Schlimmeres?

Jawohl, sage ich, es gibt noch etwas Schlimmeres! Nämlich sich auf diese moralischen Wertbegriffe zu berufen, aber das Gegenteil davon zu tun. Solidarität und Verantwortung bedeuten für uns in der Friedensbewegung wichtige Verpflichtungen, aber in unverfälschtem Sinn. Und darüber lassen Sie mich einige Worte sagen.

Solidarität heißt Zusammenhalt, heißt Verhinderung oder Aufhebung von Ausgrenzungen. Heißt Unterstützung der Schwächeren. Heißt Abbau von sozialen Ungerechtigkeiten. Solidarität war das Leitthema der Friedenspolitik Willy Brandts und seines Engagements für die armen Länder in der Nord-Süd-Kommission. Lernziel Solidarität hieß ein vielfach raubgedrucktes Buch von mir, vor 30 Jahren, das beschrieb das Engagement einer sozialen Bewegung der jungen Generation, die sich für Menschen in sozialen Brennpunkten, für Flüchtlinge, psychisch Kranke und für die Völker in der Dritten Welt einsetzte.

Das ist der wahre, der umfassende Sinn von Solidarität, der für uns in der Friedensbewegung obenan steht. Aber was uns im Augenblick als Solidarität zur Pflicht erklärt wird, verkehrt den ursprünglichen Wortsinn ins Gegenteil. Wir sollen wieder wie schon vor Jahrzehnten auf ein gespaltenes Weltbild eingeschworen werden, also nicht etwa nur mithelfen, die Schuldigen an dem Massenverbrechen des 11. September zu verfolgen und zu bestrafen. Sondern wir sollen willfährig in einer Front gegen das Böse mit marschieren, wo immer unsere Führungsmacht dieses ermittelt. Das Rezept lautet, überall in der Welt lauernde gefährliche Bedrohungen mit Gewalt zu ersticken. Aber was sind das für Regionen? Woher droht neuer Terrorismus? Außenminister Powell hat dazu persönlich auf dem kürzlichen Wirtschaftsforum in New York einen maßgeblichen Hinweis gegeben, als er sagte: Armut und Hoffnungslosigkeit seien dem Terrorismus förderlich. Das heißt doch nichts anderes, als dass den entsprechenden kritischen Regionen zuerst Hilfe gegen ihre Armut und Hoffnungslosigkeit gebühre. Im Irak, dem anvisierten nächsten Kriegsgegner, sterben laut UNESCO und Weltgesundheitsorganisation in jedem Monat 4-5.000 Kinder an den Folgen der Sanktionen, was dem Diktator Saddam Hussein dabei hilft, mit Hasspropaganda sein Regime zu stabilisieren. In Nahost war der Terrorkrieg drei Jahre lang fast erloschen, als die Palästinenser aufgrund der Osloer Vereinbarungen auf Rückgabe der besetzten Gebiete und auf baldige Anerkennung als selbständiger Staat hoffen konnten.

Jedenfalls sollten wir uns unseren Leitbegriff Solidarität ebenso wenig stehlen lassen wie unsere Interpretation von Verantwortung. Wenige Meter von hier entfernt in der Paulskirche hat der Philosoph Hans Jonas den Friedenspreis für seine bedeutenden Schriften über Verantwortung in der modernen Welt erhalten. Verantwortung, so sagte Jonas wörtlich, "ist die als Pflicht anerkannte Sorge um anderes Sein, die bei der Bedrohung seiner Verletzlichkeit zur Besorgnis wird."

Aber wo bleibt die Sorge um anderes Sein, wenn die USA und die anderen westlichen Mächte die armen Länder in Schulden von 2.500 Milliarden Dollar ersticken lassen? Wenn sie ihnen durch Zollbarrieren und Subventionen verwehren, gleichberechtigt an den Vorteilen der Globalisierung zu partizipieren? Wo bleibt die Verantwortung dafür den Abwärtstrend der Entwicklungshilfe umzukehren, den selbst der Chef der Weltbank ein Verbrechen nennt? Wo bleibt die Verantwortung, wenn die USA ihren Militäretat in den nächsten Jahren um 120 Milliarden bis auf 451 Milliarden Dollar aufstocken wollen, aber zum Beispiel nur ganze 300 Millionen für die Aids-Bekämpfung in Afrika übrig haben, wo Kofi Annan jährlich 10 Milliarden fordert, um das dortige unvorstellbare Massensterben einzudämmen?

Hier überall geht es um Verantwortung, bzw. um Beseitigung schwerwiegender Unverantwortlichkeit. In Deutschland bekommen wir nun seit der Wiedervereinigung fast pausenlos zu hören, erweiterte deutsche Verantwortung sei vor allem die Pflicht zum Mitschießen in Kriegen. Die Deutschen wieder mit vornean an allen Fronten, das wird als Reifung zu neuer Erwachsenheit gepriesen und ist doch in Wahrheit nur ein Rückfall auf eine pubertäre High-Noon-Mentalität, in welcher das Erschlagen von immer neuen Monstern als heroischer Beweis von männlicher Vollwertigkeit erträumt wird. Aber, liebe Freundinnen und Freunde, deutsche Verantwortung sieht anders aus als gehorsame Unterwerfung unter eine neue Strategie, die mit Krieg immer nur neuen Hass, neue Rache, neue Gegengewalt säht, so wie uns das im Nahost täglich vorgeführt wird.

Wer einmal in den Worten nachgibt, kapituliert schließlich auch in der Sache, das habe ich von meinem Lehrmeister Sigmund Freund gelernt. Das heißt, wir dürfen uns unser Verständnis von Solidarität und Verantwortung nicht enteignen lassen. Den echten Sinn von Solidarität verwendet mit Recht die neue globalisierungskritische Bewegung, die im Sinne einer gerechteren Weltordnung eine globalisierte Solidarität anstrebt. In dieser Bewegung treffen sich bereits in über 60 Ländern Gruppen mit einem Verantwortungsgefühl, das der Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum einmal benannt hat, als er schrieb, dass jeder von uns sich nur dann als ganze Person und nicht bloß als Figur in einem Drama ansehen könne, das anonyme Mächte geschrieben habe, wenn er so handle, als hänge die Zukunft des Ganzen von ihm ab. Das klingt phantastisch und idealistisch, beschreibt aber für die Menschen in der Friedensbewegung und in der neuen Bewegung attac schlicht ein unmittelbares Bewusstsein davon, dass wir alle auf der Welt aufeinander angewiesen sind.

Als Präsident Bush gerade seine Gedenkrede zur halbjährigen Erinnerung an den 11. September hielt und gerade beendete, intonierte zum Abschluß des Musikcorps der Marine Beethovens Ode: "Alle Menschen werden Brüder." So behielt die hoffnungsvolle Utopie das letzte Wort. Und warum sollte man darin keinen Sinn sehen?

Liebe Freundinnen und Freunde, mich belastet immer noch, dass ich mit 18, 19 Jahren einmal in einem Krieg in Russland auf Feinde schießen musste, die nicht meine Feinde waren und mit denen ich bestimmt gut ausgekommen wäre, hätten wir uns unter normalen Verhältnissen getroffen. In Afghanistan haben die Bomberpiloten das Leben tausender von unschuldigen Zivilisten ausgelöscht. Wie jüngst zu lesen war, haben französische Kampfflieger unlängst verschiedentlich Einsätze aus humanitären Einsätzen verweigert, um die sonst gefährdete Zivilbevölkerung zu schonen. Längst hat der Krieg die Schuldigen am 11. September aus den Augen verloren. Wenn sich Soldaten zu Tötungswerkzeugen in einem Szenario erniedrigt fühlen, das sie zur Unterdrückung ihres Verantwortungssinnes nötigt, dann macht sie die Politik auch an ihnen schuldig. Sie nötigt sie zu einer psychischen Verrohung, die lange nachwirkende traumatische Spuren hinterlässt.

In diesem Augenblick, da neue Feindländer als Ziel für Bomben und Raketenangriffe ausgeguckt werden, ist noch einmal eine Chance da, das Zerstörungswerk zu stoppen. Es ist gewiss nicht schwierig, dem Wählervolk klarzumachen, dass eine Ausweitung des Krieges den Terror nicht ausrotten, sondern ihm nur neue Nahrung geben würde. In Israel/Palästina läuft täglich in kleinerem Maßstab ab, was uns im Großen bevorstehen würde, keine noch so gewaltige militärische Überlegenheit schützt vor selbstmörderischer Rachebereitschaft. Das einzusehen ist nicht schwer. Schwerer scheint aber wohl, den Mut aufzubringen, eine erweiterte deutsche Verantwortung im europäischen Bündnis endlich nicht mehr militärisch, sondern friedenspolitisch sichtbar zu machen. Das ist unsere Forderung. Beweist endlich in Berlin diesen Mut, ehe es definitiv zu spät ist.


Nie wieder Krieg!

Rede von Horst Schmitthenner (geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Metall), Frankfurt, 1.4.2002

I. Einleitung

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Die Politik der Bundesrepublik Deutschland war lange Zeit von militärischer Zurückhaltung geprägt. Diese Zurückhaltung basierte auf den Lehren, die aus dem I. und II. Weltkrieg gezogen wurden; beide Kriege hatten ihren Ursprung im aggressiven deutschen Militarismus.

Bereits am Anfang der 90er Jahre zeichnete sich aber eine Veränderung der deutschen Außenpolitik ab. Schrittweise wurden die militärischen Handlungsspielräume erweitert. Die Bundeswehr sollte eine "Armee wie jede andere" werden.

Oder anders gesagt: Als ökonomischer Riese sollte das vereinigte Deutschland nicht länger politischer und militärischer Zwerg bleiben. Diese Strategie ist jetzt leider weitgehend verwirklicht.

Nach dem Jugoslawien-Krieg ist die Beteiligung deutscher Kampftruppen am Krieg gegen Afghanistan bei den etablierten Parteien kaum noch umstritten gewesen; mit ihrem neuen Grundsatzprogramm haben jetzt auch "die Grünen" ihre Parteitheorie der Regierungspraxis angepasst.

II. Neue Nato-Strategie

Kolleginnen und Kollegen,
Hintergrund der letzten Nato-Kriege ist eine neue Militärstrategie. Das Ende der Systemkonfrontation erfordere eine Erweiterung des Auftrags der Nato. Das kann man in offiziellen Nato-Dokumenten nachlesen.

Zur Verteidigung des eigenen Territoriums tritt die Verteidigung der eigenen Interessen. Die Nato ist vom Verteidigungsbündnis nun auch offiziell zum Interessenvertretungsbündnis umgebaut worden.

Diese Interessen sind wirtschaftlicher, politischer und militärischer Natur. Sie liegen in allen Teilen der Welt. Entsprechend ist auch das Einsatzgebiet erweitert. Das heißt, die Natostaaten zielen nach dem Ende des kalten Krieges auf eine neue weltpolitische Vormachtstellung.

Flexible Krisenbewältigung ist Teil dieser neuen Strategie. In diesen Wandel der Natostrategie wurde still und leise auch die Bundeswehr einbezogen.

Zur Verteidigung dieser Interessen wird ein Mandat der UNO zwar für wünschenswert, aber keineswegs für notwendig gehalten. Ob interveniert wird, hat dabei wenig mit Menschenrechten, aber viel mit den Interessen der Mächtigen zu tun.

Mit dieser neuen Ausrichtung reagiert die Nato auf die neuen Anforderungen, die sich aus der neoliberalen Globalisierung ergeben. Es geht darum, alle Hindernisse für eine weltweite Verflechtung des Kapitals beiseite zu räumen.

III. Afghanistan-Krieg

Kolleginnen und Kollegen,
diese Ausrichtung der Nato zeigte sich auch am Afghanistan-Krieg.

Angesichts des Terroranschlages am 11. September hatten viele Menschen ihre pazifistische Grundüberzeugung in Frage gestellt.

Sie überlegten, ob außergewöhnliche Situationen - wie der Terroranschlag in den USA - nicht auch außergewöhnliche Mittel - wie die Kriegsführung der USA und die Beteiligung von deutscher Seite - rechtfertigen...

Aber der Krieg gegen Afghanistan hat es einmal mehr zu Tage gefördert. Unsere Losung muss auch in Zukunft heißen: Nie wieder Krieg!

Der jüngste Krieg gegen Afghanistan zeigt die Militarisierung der Außenpolitik der Nato: Er wurde als unmittelbare Reaktion auf die Terroranschläge in den USA dargestellt. Die Terrorprävention und die Ergreifung der Täter wurden als Ziele benannt.

Im Verlaufe der Kriegsführung wurde der Zielkatalog aber immer weiter aufgefächert. Ganz andere und sehr unterschiedliche Kriegsziele traten zutage, so dass für (fast) jeden etwas Passendes zu finden war:
  • die Abschaffung des Taliban-Regimes,
  • die Wiederherstellung der Menschenrechte,
  • die Sicherstellung des freien Erdölzugangs oder auch ganz offen
  • generelle Vergeltung.
Diese Kriegsziele legen den Verdacht nahe, dass der grauenhafte Terroranschlag vom 11. September für die Kriegführung instrumentalisiert wurde; jedenfalls war er nicht die eigentliche Ursache des Krieges.

Kolleginnen und Kollegen,
es liegt im Wesen des Krieges, dass Zivilisten ermordet und zahlreiche Menschen ins Elend gestürzt werden. Auch noch so saubere und moderne Waffen ändern nichts an diesem Tatbestand. Hinzu kommt, dass im Afghanistan-Krieg international geächtete Waffen wie Splitter- und Minenbomben eingesetzt worden sind. Und nun wird in der US-Administration allen Ernstes darüber nachgedacht, "Miniatombomben" einzusetzen. Damit wird nicht nur eine weitere Grauen erregende Waffe in das Arsenal eingefügt. Damit wird ein Atomkrieg für führbar erklärt.

Und sage mir keiner: Aufgrund der Medienberichterstattung habe ich nichts gewusst. Denn selbst im Pentagon macht niemand mehr ein Hehl daraus, dass die Medien in die Kriegsführung eingebunden werden - ob sie wollen oder nicht. Und Desinformation ist dabei an der Tagesordnung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es wurde versucht, diesen Krieg juristisch dadurch zu rechtfertigen, dass den USA das Recht auf Selbstverteidigung zustehe.

Selbstverteidigung setzt aber eine unmittelbare Bedrohung voraus; und sie muss sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gezielt gegen die Angreifer richten. Diese Verhältnismäßigkeit war bei dem Krieg in Afghanistan ebenso wenig gegeben, wie die unmittelbare Bedrohung.

Dieser Krieg ist daher ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Hierdurch haben die Nato-Staaten die kollektiven Sicherheitsstrukturen, insbesondere die UN und die OSZE, sehenden Auges unterminiert.

Diese Brutalisierung der Sitten liefert auch anderen Staaten Vorwände. Unter dem Deckmantel "Kampf gegen den Terror" versuchen sie, ihre eigenen Interessen ohne Rücksicht auf das Völkerrecht militärisch durchzusetzen. Beispielhaft nenne ich die militärischen Aktionen Israels in den palästinensischen Gebieten und Russlands in Tschetschenien.

Auch die immer wiederkehrende Rede der US-Administration von den Schurkenstaaten passt in diese Entwicklung.

Damit haben die USA ihren eigenen Berufungsfall geschaffen und halten sich nunmehr auch für legitimiert, z. B. gegen den Irak militärisch vorzugehen.

Offensichtlich ist, dass die USA als Zauberlehrling diejenigen genährt hatten, welche sie nun im Namen der Freiheit bekämpfen.

IV. Innenpolitische Auswirkungen

Die außenpolitische Entwicklung ist auch innenpolitisch für die Bundesrepublik Deutschland höchst bedeutsam:

Um eine deutsche Beteiligung an Militäraggressionen durchzusetzen, bedurfte es der vollständigen Umdefinition der Lehren aus dem Faschismus.

Auschwitz war 50 Jahre lang ein Mahnmal und galt als weiterer Grund für die Beschneidung der militärischen Aktivitäten Deutschlands. Nunmehr wird es von den Repräsentanten der neuen Bundesregierung als Argument für völkerrechtswidrige Interventionen missbraucht.

Mit dem so genannten "Antiterrorkampf" geht in den westlichen Ländern zudem immer mehr Repression einher. Sie schlägt sich in der Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel in Form der Sicherheitspakete nieder; und die Meinungsfreiheit ist faktisch eingeschränkt:

Mein Eindruck ist, dass sich langsam ein politischer Mehltau über das Land legt.

Wofür Helmut Kohl mehrere Jahre gebraucht hatte, das ist unter der Regierung Schröder im Krieg innerhalb weniger Monate vollzogen worden.

Wer, wie die IG Metall, den Bundeskanzler kritisiert, während jener im Ausland weilt, dem wird von General Müntefering eine Dolchstoßlegende gestrickt.

Den SPD-Abgeordneten, die wegen des Somalia-Einsatzes Kritik an der Bundesregierung äußerten, erging es nicht besser. Ihnen wurde unverblümt der Entzug ihres Bundestagsmandates bei den nächsten Wahlen in Aussicht gestellt.

Und wenn ein Nachrichtensprecher Vergleiche zwischen dem US-Präsidenten und Osama bin Laden zitiert, muss er um seinen Job fürchten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es geht aber nicht nur um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern auch um weiteren Sozialabbau.

Mit der Zusage des Bundesfinanzministers, im Jahre 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, hat die Bundesregierung weder sich noch uns einen Gefallen getan. Sie hat sich damit noch weiter auf einen beschäftigungspolitisch kontraproduktiven Sparkurs festgelegt.

Wenn gleichzeitig die Militärausgaben steigen, dann heißt das nicht nur Verwüstung in anderen Ländern, sondern dann heißt das auch: Sozialabbau in der Bundesrepublik.

Kolleginnen und Kollegen,
als Gewerkschafter werde ich natürlich auch immer wieder gefragt: Was heißt dies für die Belegschaften in der Rüstungsindustrie?

Ich antworte darauf: Wer eine aggressive Außenpolitik befürwortet, weil dies angeblich Arbeitsplätze schaffe, handelt unredlich.

Selbstverständlich muss es darum gehen, den Rüstungshaushalt zu senken!

Selbstverständlich ist aber auch: Einen Großteil der eingesparten Gelder brauchen wir für Konversionsprogramme. So können wir Beschäftigung sichern und neue Beschäftigung entwickeln.

Dabei geht es gerade nicht darum, subventioniert den Wald zu fegen.

Und es geht auch nicht darum, die Soldatenhelme in die sprichwörtlichen Kochtöpfe umzustanzen...,

sondern es geht darum, Arbeitskräfte - vielfach im Hochtechnologiebereich - durch Rüstungskonversionsprogramme sinnvoll zu beschäftigen.

Das Geld, das bisher in die Rüstungsindustrie gestopft wurde, sollte man lieber
  • für den Aufbau des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs,
  • für ökologische Energieerzeugung,
  • für Energiesparkonzepte
aber auch für den Ausbau des Gesundheits- und des Pflegesystems sowie des Bildungsbereiches verwenden.

Das heißt, Kolleginnen und Kollegen, so eine Umwidmung von Geld kostet keine Arbeitsplätze, sondern schafft Arbeitsplätze!

V. Konsequenzen und Alternativen

Kolleginnen und Kollegen,
1. Die Kriege gegen Jugoslawien und Afghanistan haben deutlich gemacht, zu welchen völkerrechtswidrigen Maßnahmen die NATO bereit ist.

Dies muss Anlass für uns sein, eine breite Debatte über die zukünftige Rolle von NATO und Bundeswehr zu führen. Die imperiale Ausweitung des Auftrages der NATO-Armeen ist demokratischer Gesellschaften schlichtweg unwürdig. Sie ist in ihrer Konsequenz für viele Menschen brutal und mörderisch.

2. Die NATO repräsentiert zehn Prozent der Weltstaatengemeinschaft und tätigt mehr als zwei Drittel der Militärausgaben. Das Ende des Kalten Krieges wurde nicht zum Anlass genommen, diese Ausgaben merklich zu senken. Statt dessen müssten mit diesem Geld dringende Menschheitsprobleme wie die Ernährung und die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen angepackt werden.

3. Eine weltweite Friedenspolitik bedarf der Ursachenbekämpfung von Konflikten. Die Ursachen liegen zumeist in der ungerechten Verteilung von Ressourcen und Reichtum. Wir brauchen eine gerechte Weltwirtschaftsordnung. Denn soziale Ungerechtigkeit führt oftmals zu militärischen Konflikten und stärkt den Nährboden für reaktionären Fundamentalismus.

Wenn ich über Schritte zu einer gerechten Weltwirtschaftsordnung rede, dann ließe sich einiges thematisieren: Das fängt bei der undemokratischen Struktur von IWF und Weltbank an und hört bei den Kompetenzen des Sicherheitsrates und der UNO-Vollversammlung nicht auf. Letztlich muss die Rolle der UNO gestärkt werden. Sie muss zu einer allgemein respektierten Weltorganisation für ein friedliches Zusammenleben der Völker weiter entwickelt werden.

Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn man überhaupt die internationalen Finanzströme regulieren könnte.

Beispielsweise die derzeit in der Debatte befindliche Tobin-Steuer wäre ein solcher Schritt.

Und auf europäischer Ebene wäre einiges erreicht, wenn man die Politik der Europäischen Zentralbank diskutieren und auch tatsächlich beeinflussen könnte.

Kolleginnen und Kollegen,
4. Eine aktive Friedenspolitik bedarf zudem kollektiver Sicherheitsstrukturen. Seit Jahren werden diese aber systematisch durch die USA ausgehebelt. Bereits die Selbstmandatierung der NATO im Jugoslawien-Krieg hat zu einer Situation geführt, in der das Recht des Stärkeren und nicht das Völkerrecht wirksam wird.

Wenn die politisch Mächtigen in der westlichen Welt allein entscheiden können, was in der restlichen Welt zu passieren hat, dann schafft dies nur neue Konflikte. Der Krieg wird den Terrorismus nicht zurück drängen, sondern verschärfen.

Das Völkerrecht ist eine Voraussetzung, um zukünftige Kriege und Terrorismus zu verhindern. Zur Stärkung dieser Sicherheitsstrukturen gehört die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs. Alle Vertragsländer müssen unter dessen Verbindlichkeit fallen; wir lehnen das Ansinnen der USA, ihre internationalen Interessen mittels US-Militärgerichten durchzusetzen, ausdrücklich ab.

Mutmaßliche Terroristen müssen mit rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt und vor Gericht gestellt werden. Dazu gehört die Offenlegung der Beweise, die Erhebung einer ordentlichen Anklage und die Verhandlung vor einem Internationalen Gerichtshof.

5. Deutschland muss in der internationalen Politik eine Friedenspolitik machen, die diesen Namen auch tatsächlich verdient. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, auf eine Ausrichtung NATO hinzuwirken, die nur im Rahmen des eigenen Territoriums zum Zwecke der Verteidigung agieren darf.

Einen Einsatz der Bundeswehr in internationalen Eingreifverbänden lehnen wir ab. Wir fordern die Bundesregierung und die rot/grüne Koalition auf, von ihrer bisherigen Außenpolitik abzurücken. Zivile Konfliktlösung ist und bleibt die einzig mögliche Option.

Kolleginnen und Kollegen,
zweimal ist von Deutschland ein Weltkrieg ausgegangen. Millionen von Toten und Zerstörung vieler Länder waren die Folge.

Ich bin der Auffassung, dass weder die neue Stellung Deutschlands durch die Vereinigung, noch die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten Anlass geben, unsere friedenspolitischen Grundpositionen zu verlassen. Uneingeschränkte Solidarität kann es nicht mit dem Kriegskurs der US-Administration geben, sondern nur mit denjenigen, die unter diesem Kriegskurs zu leiden haben.

Kolleginnen und Kollegen, es bleibt dabei: Nie wieder Krieg!