Medien und Krieg - Das 'Massaker von Srebrenica'
Panther, Kaimane, Skorpione
Artikel von Germinal Civikov über das so genannte Srebrenica-Video und den Prozeß gegen Slobodan Milosevic - aus 'Freitag' vom 1.7.2005

Vom "smoking gun" in der Beweisführung gegen den Angeklagten war die Rede

Es geschieht am 1. Juni mitten im Kreuzverhör von Obrad Stevanovic, eines Zeugen der Verteidigung, den der Ankläger Geoffrey Nice zuvor mehrmals einen Lügner genannt hat. Als General der serbischen Polizei und ehemaliger Vizeminister des Inneren präsentiert der Zeuge Stevanovic Dokumente, die beweisen sollen, dass die serbische Polizei im Kosovo in Übereinstimmung mit dem Gesetz gegen die UÇK vorgegangen sei. Auch dementiert er hartnäckig, dass serbische Polizeieinheiten während des Bürgerkrieges in der Krajina oder in Bosnien-Herzegowina im Sinne der Anklage eingesetzt worden seien.

Plötzlich unterbricht Mister Nice die Befragung und lässt einige Videofragmente vorführen, mit denen er beweisen will: Spezialeinheiten der serbischen Polizei waren im Sommer 1995 an den Erschießungen in Srebrenica beteiligt. Das Video zeigt einen orthodoxen Priester, der kahlgeschorene Soldaten segnet, die danach gefangene Muslime erschießen. Nice erklärt dazu, es handele sich um - "Skorpione" genannte - serbische Polizeieinheiten, die seien an Ort und Stelle gewesen, als der Mord an über 7.000 Moslems geschah. Der Zeuge ist erschüttert, weist aber vehement den Vorwurf zurück, reguläre Verbände der Polizei Serbiens seien an den Exekutionen beteiligt gewesen.

Soll das Band als neuer Beweis gegen Milosevic dienen, dann hat der Ankläger zumindest grob gegen die Prozessordnung verstoßen, denn derzeit läuft nicht seine, sondern die Beweisaufnahme der Verteidigung. Außerdem sind im Kreuzverhör nur Fragen zugelassen, die im Hauptverhör behandelt wurden - und Srebrenica zählte nicht dazu. Freilich kann der Ankläger beantragen, ihm erst jetzt zugängliche Beweise präsentieren zu dürfen. Allerdings muss er dann neben dem Gericht auch dem Angeklagten alles vorlegen, was die Authentizität dieser Beweise überprüfbar macht. Daher protestiert der Pflichtverteidiger Steven Kay lautstark gegen den "Sensationalismus" des Anklägers, und Richter Robinson entschließt sich zu einer milden Rüge. Geoffrey Nice räumt eine gewisse Regelverletzung ein, fügt aber hinzu, er beabsichtige noch nicht, die Aufnahme dieses Videos als Beweisstück zu beantragen, und setzt das Kreuzverhör mit anderen Fragen fort. (siehe zur Frage, ob das Video als Beweisstück zum Einsatz kommt, Ergänzung unten)

Der Ankläger erhält eine Woche Zeit

Schon am gleichen Abend flackern die Videofragmente zur prime time in Europa über alle Bildschirme, und am nächsten Morgen sind sie der Aufmacher vieler Zeitungen. Ein Jahr lang schwiegen sich die Medien über den "Jahrhundertprozess" in Den Haag aus, jetzt überstürzen sie sich mit Berichten über den erbrachten Beweis, dass "die Serben" und Milosevic persönlich am Völkermord in Srebrenica beteiligt waren. Vom "smoking gun" in der Beweisführung gegen den Angeklagten ist die Rede - Fazit: Als Präsident habe Slobodan Milosevic persönlich die Mörder von Srebrenica befehligt.

In den folgenden Tagen wird ausführlich berichtet, wie ganz Serbien unter Schock stehe, nachdem man in Belgrad besagtes Video integral gesendet habe. Nun seien endlich "die Serben gnadenlos mit ihren Verbrechen konfrontiert". Freilich sind im postjugoslawischen Raum seit Jahren Dutzende ähnlicher Videoaufnahmen von fragwürdiger Authentizität im Umlauf, die jeweils die Gräueltaten "der Anderen" beweisen.

Am 8. Juni bekommt Milosevic das Wort zum zusätzlichen Verhör seines Zeugen, bei dem er sich auf die Fragen beschränken muss, die der Ankläger in seinem Kreuzverhör aufgegriffen hat. Er führt nun seinerseits Videofragmente vor, die das Nice-Band als stümperhaft zusammengeflicktes Elaborat darstellen. Eine vom Ankläger ausgelassene Stelle widerlegt klar die Behauptung, dass es sich seinerzeit bei den "Skorpionen" um ein Spezialkommando der serbischen Polizei handelte. Für diese Gegendarstellung entfällt freilich die mediale Orchestrierung.

Er werde die Authentizität des Videos schon noch belegen, beteuert daraufhin der Ankläger. Er werde einen Zeugen bringen, der die bewusste Sequenz persönlich aufgenommen habe und ihre Echtheit bestätigen werde. Es gehe dabei jedoch um eine Person, deren Identität streng geheim bleiben müsse. Mister Nice rede im Futur, während das Video seit einer Woche in allen Medien als "Film über Srebrenica" präsentiert werde, protestiert der Angeklagte energisch. So bleibt dem Gericht nur eine pragmatische Entscheidung: Ankläger Nice erhält eine Woche Zeit, um seinen Authentizitätsbeweis vorzulegen.

Am 15. Juni ist es so weit. Aber nach Eröffnung der Sitzung stellt sich heraus, es gibt lediglich einen anonymen Zeugen, der die Authentizität der Videoaufnahme mit der Aussage bestätigt hat, er persönlich habe Kopien von der Originalkassette gezogen. Der Angeklagte ist belustigt über diesen "Beweis" und hört vom Ankläger die erstaunliche Erklärung: Es gehe ihm gar nicht um die Authentizität des Videomaterials und die Wahrhaftigkeit seines Inhalts. Er habe die Fragmente lediglich vorgeführt, um den Zeugen Obrad Stevanovic, den ehemaligen stellvertretenden Innenminister, die darin auftretenden Personen identifizieren zu lassen.

Daraufhin beansprucht der Angeklagte das gleiche Recht wie Geoffrey Nice und möchte nun seinerseits Ausschnitte aus einem Dokumentarfilm zu Srebrenica zeigen. Warum? In welchem Zusammenhang? fragt Richter Robinson. Milosevic erklärt, in diesen Sequenzen äußerten sich westliche Politiker zu geheimdienstlichen Verstrickungen in den Massenmord von Srebrenica. Dazu wolle er dem Zeugen Obrad Stevanovic seinerseits einige Fragen stellen. Der Angeklagte möge das tun, aber dabei nicht die Prozessordnung vergessen, ermahnt ihn der Richter.

Richter Robinson sperrt das Mikrofon

Und so beginnt der Angeklagte seine Befragung. Könne General Stevanovic bestätigen, dass die serbische Polizei schon 1996 Draza Erdemovic, den Haager Kronzeugen zu Srebrenica, festgenommen und an das Tribunal ausgeliefert habe? Das stimmt, sagt der Zeuge. Wisse er, fragt Milosevic weiter, dass Erdemovic für seine 120 zugegebenen Morde in Den Haag mit fünf Jahren Haft davon kam, während er in Serbien für dieses Verbrechen wahrscheinlich zum Tode verurteilt worden wäre? Auch das bejaht Stevanovic. Habe man nicht, so die nächste Frage, im Februar 2000 in Belgrad mehrere Personen festgenommen, die als Mittäter von Erdemovic galten? Besaßen einige davon nicht einen französischen Pass? Und seien sie nicht alle nach dem Sturz des Präsidenten Milosevic im Oktober 2000 sofort auf freien Fuß gesetzt worden?

Der Angeklagte missbrauche die Prozessordnung, protestiert der Ankläger. Das ist unwürdig, empört sich Richter Bonomy. "Mister Milosevic, Sie missbrauchen schamlos diesen Prozess", erklärt ein empörter Richter Robinson, sperrt ihm das Mikrofon und schickt den Zeugen nach Hause. Ende der Befragung. So weiß man jedenfalls, wer Herr im Hause ist.

Was nun die "Skorpione" betrifft, so ist ihre Geschichte schnell erzählt. Schon im Oktober 2003 hatte dazu Milan Milanovic, Vizeverteidigungsminister der untergegangenen serbischen Krajina-Republik, als Zeuge der Anklage vor den Haager Richtern erklärt, 1992 diese paramilitärische Einheit persönlich aus ortsansässigen Serben rekrutiert und mit der Bewachung von Erdölbrunnen beauftragt zu haben. Ausdrücklich verneinte er Kontakte zu Belgrad. Als Söldner hätten die "Skorpione" gelegentlich auch anderenorts nach Bedarf und Anfrage ausgeholfen: in Bihac, wo der Moslemführer Fikret Abdic seinen eigenen Krieg gegen Sarajevo führte, oder auf der Seite der bosnischen Serben in der Umgebung von Trnovo, wo die serbischen Linien im Sommer 1995 zusammenbrachen, und zwar zeitgleich mit der Eroberung von Srebrenica.

Mit der Wiedereingliederung von Ostslawonien in den kroatischen Staat wurden 1996 auch die "Skorpione" entwaffnet und aufgelöst. Dass sie nie der serbischen Polizei unterstellt waren, hat neulich auch der serbische Innenminister Dragan Jocic ausdrücklich bestätigt.

"Weiße Adler", "Kaimane", "Tiger", "Panther", "Skorpione" - viele Raubtiervereine gab es, die im Bürgerkrieg auf allen Seiten vorrangig gegen die Zivilbevölkerung gekämpft haben. "Psi rata" nannte man sie - "Hunde des Krieges". Wer jetzt behauptet, Geoffrey Nice habe mit den "Skorpionen" einen Schock in Serbien ausgelöst, kann nur einen höchst selektiven Schock meinen. Denn es gab dort mehrere politische Parteien, die paramilitärische Verbände in den Krieg schickten. Zumeist handelte es sich um nationalistische, monarchistische und andere ideologische Gegner des Jugokommunisten Milosevic, die teilweise heute an der Macht sind. Die "Serbische Freiwilligengarde" zum Beispiel, die vorwiegend in Kroatien operierte, war eine paramilitärische Staffel der Serbischen Erneuerungsbewegung von Vuk Draskovic. Predigt der heutige serbische Außenminister deshalb so leidenschaftlich die bedingungslose Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal? Oder: Von den "Panther-Milizen", die in Bosnien aktiv waren, weiß man, dass sie der Demokratischen Partei des 2003 ermordeten serbischen Premiers Zoran Djindjic unterstanden. Von diesem Kratzer an der Ikone der neuen serbischen Demokratie will heute niemand etwas wissen.

Quelle: http://www.freitag.de/2005/26/05260801.php



Srebrenica-Video - ein Beweisstück?
Meldung der Nachrichtenagentur BETA vom 13.12.2005 - wiedergegeben von Germinal Civikov

Die Richter im Milosevic-Prozeß haben gemäß einer BETA-Meldung vom 13.12.2005 den Antrag der Anklage abgelehnt, Zeugen zum präsentierten Video vorzuführen, die seine Authentizität beweisen. Dieser Antrag wurde mehrere Wochen nach der Präsentation am 1.6.2005 gestellt. Die Richter, so die BETA-Meldung, finden das Srebrenica-Video von geringer Relevanz für die individuelle Schuld des Angeklagten. Ein weiterer Grund für die Ablehnung sei es, daß die Anklage "einige der beantragten Beweisstücke" (es geht aber um nichts anderes als das Srebrenica-Video) schon vor Februar 2004, als die Beweisführung der Anklage abgeschlossen wurde, besessen habe.


Weiterer Beitrag zum Srebrenica-Video:
'Bilder lügen nicht!' oder: Fand das 'Massaker von Srebrenica' gar nicht in Srebrenica statt?
Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll, 11.6.2005

Weiterer Beitrag zu Srebrenica:
Bitte um Auskunft in Sachen Srebrenica
Eine Anfrage anläßlich der Internationalen Konferenz Bosnien 92-95 vom 2. bis 4.12.2005 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, 21.11.2005

Alle Beiträge zu Srebrenica im Überblick:
Srebrenica, Frau Albright und die Satellitenbilder
Betrachtungen zu einem 'Massaker', das genau zum richtigen Zeitpunkt kam, 17.3.2005
Die Rolle von Srebrenica im Juli 1995
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 22.09.2003
Fragen, was in Srebrenica geschah, bald strafbar?
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 19.2.2005
Ohne Beweis ein gesichertes Faktum?
George Pumphrey über das 'Massaker von Srebrenica', 1999
'Bilder lügen nicht!' oder: Fand das 'Massaker von Srebrenica' gar nicht in Srebrenica statt?
Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll, 11.6.2005 (zuletzt ergänzt am 20.11.2005)
Reaktionen auf die Betrachtung 'Bilder lügen nicht!' oder: Fand das 'Massaker von Srebrenica' gar nicht in Srebrenica statt?
Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll (Stand: 28.12.2005)
Der Pressekodex gilt nicht mehr
dpa-Journalist und Burda-Vorstandsmitglied kippen das Wahrheitsgebot, 15.3.2006
Ein fragwürdiges Video
Artikel von Ralph Hartmann über das so genannte ../srebrenica/srebrenica-Video - aus 'Ossietzky' vom 9.7.2005
Panther, Kaimane, Skorpione
Artikel von Germinal Civikov über das so genannte ../srebrenica/srebrenica-Video und den Prozeß gegen Slobodan Milosevic - aus 'Freitag' vom 1.7.2005
Bitte um Auskunft in Sachen Srebrenica
Eine Anfrage anläßlich der Internationalen Konferenz Bosnien 92-95 vom 2. bis 4.12.2005 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, 21.11.2005
"Gefechtstote werden geleugnet"
Gespräch mit Alexander Dorin in 'junge Welt' vom 10.7.2010
Was geschah in Srebrenica?
Artikel aus Ossietzky 16/2009
Gegen die Manipulation der Wahrheit
Interview mit Alexander Dorin zu Srebrenica, geführt von Kaspar Trümpy (Schweizer ICSM-Mitglied) am 12.09.2012

Alle Beiträge zum Fall Milosevic im Überblick:
Milosevic ist schuldig - das steht fest - denn wäre er es nicht, wäre es die Nato
Betrachtungen zu Jürgen Elsässers Buch 'Kriegslügen', Jugoslawien und dem Prozess gegen Slobodan Milosevic
Propagandamaterial als Beweismittel im Prozeß gegen Ex-Präsident Slobodan Milosevic
tagesschau.de zeigt das Propaganda-Bild unkommentiert, 14.2.2002
"Nie wieder Aufklärung - WDR-Dokumentation über den Haager Prozeß gegen Milosevic erhält den Joseph-Goebbels-Preis der Fernsehkritik"
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 3.12.2003 über "die story: Das Tribunal - Angeklagt Slobodan Milosevic", WDR-Fernsehen, 1.12.2003
Scharping, Milosevic und die Amselfeld-Propaganda
Über zwei Zitate und den Vorwurf, Slobodan Milosevic sei ein Nationalist
Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter gegen einen Prozeß der Unfairnis und Verfolgung
Künstler-Appell für Milosevic, verfasst von Robert Dickson (kanadischer Dichter) - Montreal, New York, Moskau, Paris, März/April 2004
NATO-Flop am Amtsgericht
Klaus Hartmann über ein Urteil, das die Sperrung der Spendenkonten für die Verteidigung von Slobodan Milosevic illegal nennt - 'junge Welt' vom 04.03.2006
Milosevic klagt an
Anna Gutenberg über das Buch 'Die Zerstörung Jugoslawiens - Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern', Zambon-Verlag 2006 - 'junge Welt' vom 04.03.2006
Die Ku-Klux-Klan-Logik zu Den Haag
Rainer Rupp in 'junge Welt' vom 15.03.2006
Nicht in die Knie gezwungen
Ralph Hartmann, ehemaliger DDR-Botschafter in Belgrad, Auszüge aus der Rede zum Gedenken an Slobodan Milosevic, in 'junge Welt' vom 20.3.2006
Der Tod von Milosevic: ein politischer Mord, für den das Opfer verantwortlich gemacht wird
Sarah Flounders (Co-Direktorin des International Action Center, New York), in der Übersetzung aus dem Englischen von Klaus von Raussendorff, 23.3.2006
Mord in Den Haag
Ralph Hartmann in 'Ossietzky' vom 17.3.2006

Alle Beiträge zu vergangenen Kriegen:
Was Bilder beweisen - über die Funktion von Bildern im Krieg gegen Jugoslawien
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Der Informationskrieg
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Bilder, sagt man, lügen nicht - oder vielleicht doch?
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Unter den Trümmern der Dresden-Debatte liegen die Leichen des Jahres 1999
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 14.2.2005
Sarajewo 5.2.1994 - Bomben für den Frieden
Ralph Hartmann in 'Ossietzky', Ausgabe 8/2005